Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
anzuzeigen.
»Das kannst du doch auch morgen erledigen, oder?«
»Und wenn das Boot von einem Schiff stammt?«
»Es ist eine Jolle, kein Rettungsboot«, widersprach sie.
»Dann hat das Baby sicher eine Mutter, die irgendwo auf dem Festland wartet und vor Sorge fast den Verstand verliert. Wie würdest du empfinden, wenn es deins wäre?«
»Du hast die Strickjacke gesehen. Bestimmt ist die Mutter über Bord gefallen und ertrunken.«
»Liebling, wir haben keine Ahnung, was aus der Mutter geworden ist. Oder wer der Mann war.«
»Aber es ist die wahrscheinlichste Erklärung, richtig? Babys laufen ihren Eltern nicht davon.«
»Izzy, alles ist möglich. Wir wissen es nicht.«
»Hast du je von einem kleinen Baby gehört, das sich ohne seine Mutter in einem Boot auf den Weg macht?« Sie drückte das Kind ein wenig fester an sich.
»Die Sache ist ernst, Izzy. Der Mann ist tot.«
»Und das Baby lebt. Hab doch ein Herz, Tom.«
Etwas an ihrem Tonfall rührte ihn an. Und so hielt er inne und dachte über ihre Bitte nach, anstatt ihr zu widersprechen. Vielleicht brauchte sie ja ein wenig Zeit mit dem Baby. Vielleicht war er ihr das schuldig. Schweigen entstand, und Isabel drehte sich, ein wortloses Flehen in den Augen, zu ihm um.
»Ich denke …«, räumte er widerwillig ein, »dass ich mit dem Funkspruch noch bis morgen warten kann. Aber gleich in der Früh, sobald es hell wird, erledige ich das.«
Isabel küsste ihn und tätschelte seinen Arm.
»Jetzt muss ich aber wieder in den Turm. Ich war gerade dabei, das Brüdenrohr zu wechseln«, fügte er hinzu.
Als er den Pfad entlangging, hörte er Isabels glockenhelle Stimme. Sie sang. » Blow the wind southerly, southerly, southerly, blow the wind southerly o’er the bonnie blue sea. « Obwohl das Lied melodisch war, konnte es ihn nicht trösten, als er die Stufen des Leuchtturms hinaufstieg, denn er musste sich eingestehen, dass ihm seine Nachgiebigkeit ein leichtes Unbehagen verursachte.
Kapitel 1
16. Dezember 1918
»Ja, das ist mir klar«, sagte Tom Sherbourne. Er saß in einem spartanisch eingerichteten Zimmer, in dem sich die Temperatur kaum von der schwülen Hitze draußen unterschied. Es war Sommer in Sydney; ein Regenschauer prasselte gegen die Fensterscheibe und sorgte dafür, dass die Menschen auf dem Gehweg eilig Schutz suchten.
»Ich meinte, sehr schwierig.« Der Mann hinter dem Schreibtisch beugte sich vor, um seine Worte zu untermauern. »Das wird kein Spaziergang. Nicht, dass Byron Bay der herausforderndste Posten wäre, den die Leuchtturmverwaltung zu vergeben hätte. Ich wollte nur sichergehen, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen.« Er drückte den Tabak mit dem Daumen fest und zündete seine Pfeife an. In Toms Bewerbungsschreiben hatte das Gleiche gestanden wie in denen vieler junger Männer dieser Tage: geboren am 28. September 1893, Kriegsdienst in der Army, Erfahrung mit Signalflaggen und dem Morsealphabet, körperlich gut in Form, ehrenhafte Entlassung. Laut Vorschrift wurden ehemalige Soldaten bevorzugt behandelt.
»Es kann nicht …« Tom hielt inne und setzte noch einmal an. »Mit allem Respekt, Mr. Coughlan, aber es wird wohl kaum schlimmer sein als an der Westfront.«
Der Mann studierte noch einmal die Entlassungsurkunde und blickte Tom dann forschend ins Gesicht und in die Augen. »Nein, mein Junge. Wahrscheinlich haben Sie recht.« Dann ratterte er ein paar Regeln herunter. »Sie bezahlen die Fahrt zum Einsatzort aus eigener Tasche. Als Aushilfe haben Sie keinen Urlaubsanspruch. Festangestellte bekommen am Ende jeder dreijährigen Dienstzeit einen Monat Urlaub.« Er griff zu einem dicken Federhalter und unterschrieb das Formular, das vor ihm lag. »Willkommen«, sagte er, während er mit dem Stempel über das Stempelkissen fuhr und ihn dreimal auf das Blatt Papier niedersausen ließ, »beim Commonwealth Lighthouse Service.« Auf dem Formular glänzte in feuchter Tinte die Aufschrift »16. Dezember 1918«.
Während der sechsmonatigen Aushilfstätigkeit in Byron Bay an der Küste von Neusüdwales zusammen mit zwei anderen Leuchtturmwärtern und deren Familien lernte Tom, was ein Leben im Leuchtturm ausmachte. Anschließend folgte ein Einsatz auf Maatsuyker, der einsamen Insel südlich von Tasmanien, wo es den Großteil des Jahres regnete und so stark stürmte, dass selbst die Hühner ins Meer geweht wurden.
Im Leuchtturm hat Tom Sherbourne viel Zeit, über den Krieg nachzudenken. An die Gesichter und Stimmen der
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