Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
mit Ziel Kanada, wo solche Dinge angeblich sehr gefragt waren.
Und so traf man 1920 in Partageuse die gleiche Mischung aus verhaltenem Stolz und auf dem harten Weg erworbener Erfahrung an wie in jeder anderen westaustralischen Stadt. In der Mitte des taschentuchgroßen Rasenstücks an der Main Street stand der nagelneue Obelisk aus Granit mit den Namen der Männer und Jungen, einige von ihnen kaum sechzehn Jahre alt, die nicht zurückkommen würden, um die Felder zu bestellen, die Bäume zu fällen oder ihren Schulabschluss zu machen, auch wenn manche in der Stadt weiter mit angehaltenem Atem auf ihre Rückkehr warteten. Allmählich verwoben sich die Leben der Einwohner wieder zu einem praktischen Stoff, in dem jeder Faden den anderen immer wieder durch Schule, Beruf und Hochzeit kreuzte und Verbindungen knüpfte, die für Außenstehende nicht zu erkennen waren.
Und Janus Rock, das nur viermal im Jahr von einem Schiff angefahren wurde, das den Proviant lieferte, hing am Rande dieses Stoffstücks wie ein loser Knopf, der jeden Moment in die Antarktis stürzen konnte.
Der lange, schmale Landungssteg in Point Partageuse bestand aus dem gleichen Dscharraholz, das auch klappernd darauf per Schienenbahnwaggon zu den Schiffen befördert wurde. Die breite Bucht, über der die Stadt gewachsen war, war klar und türkisblau. An dem Tag, als Toms Schiff anlegte, schimmerte sie wie poliertes Glas.
Männer hasteten hin und her, luden und beluden Schiffe und wuchteten, begleitet von einem gelegentlichen Ausruf oder Pfiff, schwere Frachtstücke. Am Ufer setzte sich das geschäftige Treiben fort, und die Menschen steuerten mit entschlossener Miene mit Pferd und Kutsche oder zu Fuß ihrem Ziel entgegen.
Die einzige Ausnahme von dieser zur Schau gestellten Tüchtigkeit war eine junge Frau, die einen Möwenschwarm mit Brot fütterte. Lachend warf sie jede Kruste in eine andere Richtung und sah zu, wie sich die Vögel kreischend um die Beute zankten. Eine Möwe fing einen Bissen im Flug auf, schluckte ihn hinunter und stürzte sich schon auf den nächsten, worauf das Mädchen wieder zu lachen begann.
Tom schien es, als seien Jahre vergangen, seit er zuletzt ein Lachen gehört hatte, das weder derb noch verbittert war. Es war ein sonniger Winternachmittag; im Moment wurde er weder irgendwo erwartet noch hatte er etwas zu tun. In einigen Tagen würde man ihn nach Janus bringen, nachdem er mit den richtigen Leuten gesprochen und die nötigen Formulare unterschrieben hatte. Doch im Moment mussten keine Protokollbücher geführt, keine Prismen poliert und keine Tanks nachgefüllt werden. Und hier war jemand, der einfach nur Spaß hatte, für Tom plötzlich der Beweis, dass der Krieg wirklich vorbei war. Er setzte sich auf eine Bank unweit des Bootsstegs, ließ sich von der Sonne das Gesicht liebkosen und beobachtete das Mädchen beim Herumalbern. Die dunklen Locken wehten wie ein in den Wind geworfenes Netz. Er folgte ihren zarten Fingern, die sich vom Blau abhoben. Erst nach einer Weile fiel ihm auf, dass sie hübsch war. Und es dauerte noch eine Zeit lang, bis ihm klar war, dass er vermutlich eine Schönheit vor sich hatte.
»Warum lächeln Sie?«, rief das Mädchen zu Toms Überraschung.
»Verzeihung.« Er spürte, wie er errötete.
»Fürs Lächeln braucht man sich nicht zu entschuldigen«, erwiderte sie in einem leicht traurigen Tonfall. Im nächsten Moment erhellte sich ihre Miene. »Sie sind nicht aus Partageuse.«
»Nein.«
»Ich habe schon immer hier gewohnt. Möchten Sie etwas Brot?«
»Danke, aber ich habe keinen Hunger.«
»Nicht für Sie, Dummerchen! Um die Möwen zu füttern.«
Mit ausgestreckter Hand hielt sie ihm eine Brotkruste hin. Vor einem Jahr, vielleicht sogar noch gestern, hätte Tom abgelehnt und wäre gegangen. Doch plötzlich sorgten die Wärme, die Freiheit, das Lächeln und noch etwas, das er nicht beim Namen nennen konnte, dafür, dass er annahm.
»Wetten, dass ich mehr Möwen anlocken kann als Sie«, sagte sie.
»Die Wette gilt!«, entgegnete Tom.
»Los!«, rief sie, und sie fingen an, die Stücke hoch in die Luft oder in trickreichen Winkeln zu werfen, und duckten sich, als die Möwen kreischend in den Sturzflug gingen und wütend mit den Flügeln nacheinander schlugen.
Schließlich war das Brot aufgebraucht.
»Wer hat gewonnen?«, fragte Tom und lachte.
»Oh, ich habe vergessen mitzuzählen.« Das Mädchen zuckte die Achseln. »Sagen wir, es ist unentschieden.«
»Einverstanden«,
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