Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
Prolog
K urz nach Sonnenaufgang hatte der junge Mann die Weid e erreicht. Sie lag oberhalb der Stadt , inmitten einer Lichtung und war zu Fuß innerhalb einer Stunde zu erreichen.
Natürlich nur dann , wenn die Schafe folgten. Denn gerade gegen Ende des Sommers, wenn die Nächte kälter wurden und der Wind eisig übers Land fegte, sträubten sie sich und waren widerspenstig. In diesem Fall half weder gutes Zureden, noc h R ufen . N icht selten war ein Hieb mit Stock daher die einzige Möglichkeit, um sie wieder zurück auf den Weg zu treiben. Dann dauerte es aber manchmal fast doppelt so lange, bis die gesamte Herde auf der Weide war.
Manchmal sogar noch länger.
An diesem Tag jedoch hatte er Glück gehabt. Keine Nachzügler hatten ihn aufgehalten. Sie waren brav marschiert. Er voran und die Schafe hinter ihm. Die beiden Hunde hatten die Herde in einiger Entfernung umkreist. S ie waren lautlos durchs Unterholz geschlichen und hatten nach möglichen Gefahren Ausschau gehalten. Erst als der Wald sich zu lichten begonnen hatte, waren sie zur Herde zurückgekehrt und hatten sich unter die Schafe gemischt.
Mit ihren weißen, struppigen Fellen konnte selbst er sie manchmal nicht von ihren Schützlingen unterscheiden. Es waren gute Hunde und dank ihrer Hilf e, hatte er den ganzen Sommer kein einziges Schaf an die Wölfe verloren. Selbst beim kleinsten Rascheln im Unterholz waren sie stets aufgesprungen, hatten gebellt und jeden potenziellen Räuber zurück in die Dunkelheit des Dickichts vertrieben.
Nach dem er an diesem Tag die Weide erreicht hatte, setzte er sich auf einen umgestürzten Baumstamm und ließ sich von der aufsteigenden Sonne wärmen. Im Hafen der Stadt wölbten sich die Segel der Fischer in der morgendlichen Brise und weit draußen auf dem Meer fuhren riesige Dampfschiffe nach Osten.
Das Meer war ruhig und von gleichem Blau, wie der Himmel. Am Horizont vermischten sich die beiden Blautöne zu einem undu rchdringlichen Gewirr. Für einige Augenblicke konnte der junge Mann nicht genau sagen konnte, wo die Welt aufhörte und der Himmel begann .
So saß er eine Weile da, blickte hinaus aufs Meer und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. N achdem er sich etwas aufgewärmt hatte, nahm er seinen Rucksack ab und bereitete das Frühstück vor. Es bestand zwar nur zwei gekochten Eiern und einer Kruste Brot, doch n ach dem steilen Aufstieg zur Weide schmeckte ihm selbst diese karge Kost ausgesprochen gut.
Nach dem bescheidenen Mahl genehmigte er sich einen Schluck Ouzo aus der Flasche, die er in der Brusttasche seiner Jacke trug. Das würzige Aroma des Schnapses entfachte einen Glimmer in seiner Brust, der ihn von innen wärmte.
Nachdem das Frühstück erledigt war , hatte er nichts weiter zu tun, als da zu sitzen und hin und wieder nach den Schafen zu schauen. Er erhob sich vom Baumstamm, lehnte den Rucksack dagegen und ließ sich dann zu Boden sinken. Der Rucksack war zwar abgewetzt und dünn, sorgte aber dennoch dafür, dass er sich keinen steifen Rücken holte, wenn er den ganzen Tag am Baumstamm lehnte. Auch das kleinste Kissen ist besser, als der nackte Boden , hatte seine Mutter immer gesagt und damit letztlich auch Recht behalten.
Nachdem er schließlich die Beine vor sich im Gras ausgestreckt hatte, holte er ein kleines Büchlein a us seiner Jackentasche. Er schlug es an der Stelle auf, die er mit einem Eselsohr markiert hatte und begann zu lesen.
Es war ein Büchlein, das einer seiner Landsmänner vor einigen Jahren geschrieben hatte, nachdem er beinahe sein gesamtes Leben damit zugebracht hatte, die Welt zu bereisen . Es handelte sich um eine Sammlung von Reiseberichten, die der Autor – seines Zeichens ehemaliger Kapitän eines Handelsschiffes – im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte.
Der gute Mann hatte nahezu alle Ecken der Welt kennengelernt und seine Eindrücke und Erfahrungen in dem Werk zusammengetragen. Dem jungen Mann, der trotz seiner 23 Jahre noch nie weiter als zwei Tagesreisen von zuhause weg gewesen war, gefielen die Geschichten sehr. So sehr, dass er das Büchlein inzwischen be reits zum vierten Mal las, ohne dass dabei Langeweile aufkam.
Obwohl er die Geschichten inzwischen auswendig kannte, so fieberte er dennoch immer wie der aufs Neue mit dem Autor mit. Sei es nun, dass er sich tagelang durch die Rossbreiten quälte oder auf einer einsamen Insel im Südmeer auf einen Stamm von Kannibalen traf.
Doch trotz all der aufregenden Geschichten u nd erschreckenden
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