Das Liebesspiel
eintrudeln, werden ihr diese Papierrahmen an den Wochenenden nur so aus den Händen gerissen. Die Leute schieben zurechtgeschnittene Fotos ihrer Haustiere hinein, ihrer Kinder mit eiscremeverschmierten Lippen und salzstarrem Haar. Ich habe mich nie als jemanden gesehen, der Nippes für Touristen fertigt, aber man kann wohl sagen, dass es bisher ganz gut läuft.
Als ich letztens ein paar Sachen ablieferte, sagte Polly ganz begeistert: »Für Weihnachten hätte ich gerne zweihundert Vögel von dir, graue und weiße Möwen, die wir an einen riesigen Tannenbaum in der Mitte des Geschäfts hängen, so wie der, der im Naturgeschichtlichen Museum steht.«
Ich nickte nur, ja klar, Polly, und dachte bei mir: Ganz bestimmt bin ich dieses Jahr Weihnachten nicht mehr hier.
Das erwähne ich natürlich nicht gegenüber Ray.
»Verdienst du denn Geld damit?«, will er jetzt wissen.
»In San Francisco war es mehr. Hatte da einen ziemlich guten Deal – mit einem Bäcker.« Je nach Kundenwunsch verzierte ich Torten mit meinen roten Papierpapageien, silbernen Häschen, japanischen Kranichen, die in der Buttercreme steckten. Es war ein total schicker Laden – eine Boulangerie . Siebzig Mäuse für eine Torte von fünfundzwanzig Zentimeter Durchmesser. Ich wurde gut bezahlt, bekam Schachteln mit in Schokolade getauchten biscotti geschenkt. Nahm vier Kilo zu.
»Hab gehört, Polly soll total geizig sein«, bemerkt Ray. Ich wundere mich über seine heftige Reaktion, dann fällt mir ein, dass Polly eine Freundin seiner zukünftigen Exfrau ist. Hat ihren eigenen Mann bei der Scheidung kräftig übers Ohr gehauen.
»Man kann ganz gut für sie arbeiten«, sage ich vorsichtig. »Ich kann Papier falten, verdiene Geld damit, zusätzlich zu dem im Restaurant. Du weißt ja, wie das läuft. Alles zusammen ist es ganz in Ordnung.«
»Anna ist montags und mittwochs bei mir«, sagt er. Anna ist seine Tochter, neun Jahre, genauso alt und in derselben Klasse wie meine Nichte. »Dienstag habe ich ein Spiel. Was hast du heute in einer Woche vor?«
»Willst du mich einladen?«
Er schüttelt den Kopf und lacht. »Hab nur gefragt, was du nächsten Donnerstag vorhast.«
»Nächsten Donnerstag werde ich höchstwahrscheinlich genau hier sitzen, an dieser Stelle.«
»Okay«, sagt er. »Dann komme ich um sechs Uhr am Donnerstag vorbei …?«
In unserer Kindheit hatte mein Bruder einige wenige Regeln für mich: Mach, was du willst und mit wem du willst, aber lass dich nicht schwängern, lass dich nicht erwischen und vögel niemals mit einem meiner Freunde.
Als ich daran denke, kommt wie auf ein Stichwort Alex vorgefahren und schießt ein bisschen zu schnell an uns vorbei. Ich will aufstehen, überlege es mir aber anders. Ich bleibe einfach sitzen. Auf der Treppe. Da, wo ich bin. Rays Blick folgt Alex’ Pick-up, der hinter seinem stehen bleibt. Alex wirft seine Schlüssel aufs Armaturenbrett und schlägt die Tür zu. Ich erkenne die rechteckige Ausbuchtung der Zigarettenschachtel in seiner Hemdtasche. Er kommt zu uns.
»Hab oben in Head deinen Bruder getroffen«, ruft er Ray zu. »Mann, hat der mich zugequatscht wegen seinem alten Ruderboot. Nach ’ner halben Stunde stand ich immer noch am selben Fleck und er laberte mich zu.«
Ray lacht. »Huckie kann einfach nicht die Schnauze halten mit dem dämlichen Boot. He, wo ist mein Gatorade?«
Alex bleibt stehen. »Warte.« Er macht auf dem Absatz kehrt und geht zum Pick-up zurück.
»Und?«, fragt Ray leise.
»Donnerstag ist mir recht«, sage ich.
Ich spüre ihn lächeln.
Und da haben wir es: Ada Varicks jüngster Sohn sitzt auf der Veranda von Luce Welds einziger Tochter und macht dessen Enkelin schöne Augen. Die, wie das Schicksal es will, ich bin.
Zweiter Teil
MÄDCHEN
AUF
DER BRÜCKE
Lilien
JANE
23 . Juli 2004
Man empfindet eine gewisse Hoffnung zu Anfang einer Partie.
Wenn das Spielbrett noch leer ist, die farbigen Felder sich in ihrer nackten, perfekten Symmetrie präsentieren. Man sieht das Muster, das zugrunde liegende klare Raster, die logische Verteilung, vom zentralen Sternfeld nach außen verlaufend. Der Rahmen, in dem sich das Spiel entwickeln wird.
Ada hat Lippenstift aufgelegt. Diese Feuerwehrfarbe, die zu dem Lack auf ihren Nägeln passt. Sie merkt, dass ich sie betrachte.
»Ist was verschmiert?«
»Nur ein bisschen.«
Sie holt ein Taschentuch aus der Tasche ihres Rocks und wischt sich über die Zähne.
»Weg?«, fragt sie.
»Weg.«
Noch vor wenigen Augenblicken,
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