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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Sicherheitsdenken, denn finanziell ging es ihnen einigermaßen gut. Susan hatte einfach die Augen vor Pauls Charakter verschlossen, insgeheim sogar gehofft, er würde sich eines Tages ändern. Als sie vor über zwei Jahren Jimmy gebar, zeigte sich Paul tatsächlich als liebevoller Vater. Leider hatte er da schon angefangen, mehr zu trinken, als ihm guttat. Alkoholmissbrauch war in ihren Kreisen an der Tagesordnung, nur Susan hielt sich von diesem Teufelszeug fern. Jimmy brauchte sie, und keinesfalls wollte sie ihrem Sohn eine ständig betrunkene Mutter sein, wie ihre eigene es gewesen war. Bei einem Einbruch war Paul, betrunken und dadurch unachtsam, vom Hausherrn überrascht worden. Anstatt zu fliehen, hatte Paul einen Hammer genommen und wie ein Irrer auf den Mann eingeschlagen. Durch dessen Schreie aufgeschreckt, gelang es Nachbarn, Paul dingfest zu machen. Es war Pauls Glück, dass der Mann den Überfall zwar schwer verletzt, jedoch ohne bleibende Schäden, überlebte. In einem kurzen Verfahren wurde Paul zu vier Jahren Zuchthaus in Wandsworth verurteilt, und plötzlich stand Susan mit ihrem Sohn allein da.
    Sie verließ ihre Wohnung, kratzte ihre letzten Pennys zusammen und zog in das kleine Zimmer hier in Lambeth, das zwar schäbig, aber billig war. Zwei Wochen lief sie auf der Suche nach Arbeit durch London, bis sie schließlich die Stelle bei dem Fleischer in Smithfield bekam. Susan hatte sich mit ihrem Leben arrangiert. Sie glaubte nicht, Paul jemals wiederzusehen. Vier Jahre waren eine lange Zeit, und davon war erst ein Jahr vergangen, in dem sie Paul kein einziges Mal besucht hatte. Sie hatte nicht vor, in drei Jahren immer noch dieses karge Dasein zu fristen, auch wenn Susan jetzt noch nicht wusste, was sie tun konnte, um ihr Leben und das ihres Sohnes zu ändern.
    Der kleine Jimmy grummelte ein wenig, während Susan ihn auszog und in das Bett legte. Ein Kinderbett besaß sie nicht, so hielt sie Jimmy jede Nacht in ihrem Arm. Der Junge wuchs jedoch – wie es Susan schien – rasend schnell. In ein, zwei Jahren würde das Bett für sie beide zu eng werden. Nachdem Jimmy fest eingeschlafen war, setzte Susan den Wasserkessel auf. Sie hatte keinen Hunger, aber eine Tasse Tee würde ihr jetzt guttun. Das Erlebnis mit Lavinia Callington erschien ihr wie ein Traum, so unwirklich waren die letzten Stunden gewesen. Susan konnte nicht fassen, wie man sich das Leben nehmen wollte, nur weil man keine Kinder bekommen konnte. Selbst wenn es für die Lady die Scheidung bedeutete – für eine Frau ihrer Gesellschaftsschicht gab es immer Möglichkeiten. Dass die Frau allerdings nicht ganz richtig im Kopf war, zeigte ihr Angebot, Susan ihr ungeborenes Kind abzukaufen. Susan lächelte bitter, während sie das kochende Wasser in die abgeschlagene Teekanne, an der der Henkel fehlte, goss. Das Kind in ihrem Bauch war kein Produkt der Liebe so wie Jimmy. Auch wenn sie wünschte, Paul nie wiederzusehen, ihren gemeinsamen Sohn liebte sie sehr. Dem neuen Leben hingegen, das in ihrem Körper entstand, konnte sie keinerlei zärtliche Gefühle entgegenbringen. Sie hatte sich mit diesem Mann nur eingelassen, damit Jimmy und sie nicht das Dach über dem Kopf verloren. Bei der Erinnerung an die Stunde, in der der schmierige Vermieter ihren Körper besessen hatte, wurde Susan übel, und sie schob die Teekanne zur Seite. Weil sie die Miete für dieses Loch hier nicht hatte aufbringen können, hatte sie sich wie eine Hafendirne prostituiert. Wäre es nur um sie gegangen, hätte sie dem Hausbesitzer in sein feistes Gesicht geschlagen und ihn stehenlassen, als er ihr das Angebot machte. Susan hatte jedoch an ihren Sohn gedacht und die Sache über sich ergehen lassen. Zwei Monatsmieten war der Sex mit ihr ihm wert gewesen. Zwei Monate, in denen es Susan gelungen war, genügend Geld zu verdienen, um die kommenden Monate zu bezahlen. Seitdem hatte er sie in Ruhe gelassen, und Susan hoffte, nie wieder zu einem solchen Mittel greifen zu müssen. Die eine Stunde war jedoch nicht ohne Folgen geblieben, denn jetzt trug sie das Kind dieses Erpressers unter ihrem Herzen. Sie wusste, in der Stadt gab es Frauen, die sie von dieser Last befreien konnten, doch diese Weiber kosteten Geld, das Susan nicht hatte. Außerdem erinnerte sie sich an eine frühere Nachbarin ihrer Mutter, die ihr Kind auf diesem Weg zwar loswurde, binnen dreier Tage aber selbst unter großen Qualen verblutete. Nein, sie würde dieses Kind bekommen und es eines Tages vielleicht

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