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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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auch lieben können. Es würde sich irgendwie alles finden, so, wie sich in Susans Leben bisher immer alles geregelt hatte.
    Susan zuckte zusammen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Sie öffnete nur einen Spalt und sah den Mann skeptisch an, denn sie hatte ihn nie zuvor gesehen.
    »Was wollen Sie?« Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass Susan über die Störung wenig erfreut war.
    Der Fremde zog seine Lippen hoch, es sollte wohl ein Lächeln sein, und entblößte ein lückenhaftes Gebiss und schwarze Zahnstummel.
    »Sind Sie Susan? Susan Hexton?«
    »Wer will das wissen?« Susan war nicht gewillt, die Tür weiter zu öffnen. »Was wollen Sie?«
    Nun grinste er, aber es sah mehr verschlagen als freundlich aus.
    »Wenn Sie Susan sind, dann habe ich schöne Grüße von Paul zu bestellen.« Er sah das Erschrecken in Susans Augen. »Sie wissen doch noch, wer Paul ist, oder? Ihr Ehemann.«
    »Kommen Sie rein.« Widerwillig trat Susan zur Seite. Es war nicht nötig, dass das ganze Haus ihn hörte. Wenn der Mann etwas von Paul wusste, dann war es auf keinen Fall etwas Gutes. Die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt, blieb Susan mit dem Rücken zur Tür stehen, nachdem sie diese wieder geschlossen hatte. »Was ist mit Paul?«
    Der Mann sah sich kurz in dem Zimmer um und ließ sich dann unaufgefordert auf den einzigen Stuhl fallen.
    »Haben Sie was zu trinken da?«, fragte er ungeniert und leckte sich die Lippen.
    »Nur Tee, ich trinke keinen Alkohol«, gab Susan harsch zurück. »Also los, wer sind Sie, und was wollen Sie von mir?«
    »Ich bin Bob, man nennt mich auch Longfinger Bob, und ich hatte das Vergnügen, mit Paul eine Zelle in Wandsworth zu teilen.«
    Über diese Eröffnung war Susan nicht sonderlich überrascht. Der Mann hatte auf sie gleich einen zweifelhaften Eindruck gemacht.
    »Wie geht es Paul?«, fragte sie pflichtschuldig, obwohl es Susan nicht interessierte.
    »Oh, sehr gut.« Bob lachte laut und klatschte sich auf die Schenkel. »In vier Wochen wird es ihm noch besser gehen, denn dann kommt er raus.«
    Scheppernd fiel der blecherne Becher, in den sich Susan gerade Tee einschenken wollte, zu Boden.
    »Wie kann das sein? Er hat vier Jahre gekriegt, und eines ist erst vorbei.«
    »Wandsworth ist völlig überfüllt. Täglich werden Mörder und andere Schwerverbrecher eingeliefert. Deshalb schmeißen die gerade alles raus, was sich einigermaßen gut benimmt. Paul ist ein sogenannter Mustergefangener. Ich hätte eigentlich auch noch drei Jahre vor mir gehabt, aber jetzt bin ich draußen. Was für ein Glück, dass die Deportationen nach Australien seit Jahrzehnten eingestellt worden sind, dann wären wir nämlich fällig gewesen.«
    »Die Nachricht überrascht mich«, gab Susan zu und versuchte, ihre zitternden Hände vor Bob zu verbergen. »Ich wusste nicht, dass einem Gefangenen so viele Jahre einfach geschenkt werden.«
    »Tja, der alte Paul und ich haben Glück gehabt.« Bob kniff die Augen zusammen und musterte zuerst Susan von oben bis unten, dann blickte er zum Bett auf den schlafenden Jimmy, der von nichts etwas mitbekommen hatte. »Mein Kumpel hat mich beauftragt, bei seiner Familie nach dem Rechten zu schauen. Schließlich will er bald in die Arme seiner liebenden Ehefrau zurückkehren. War gar nicht so einfach, Sie zu finden, denn Paul gab mir Ihre alte Adresse, doch da sind Sie einfach abgehauen.«
    »Wir mussten von dort wegziehen«, gab Susan ausweichend zur Antwort. »Sie haben uns ja nun gefunden und mir ausgerichtet, was ich wissen muss.« Susan wandte sich zur Tür und hoffte, Bob würde den Wink verstehen und gehen.
    Er stand tatsächlich auf, trat aber so dicht vor Susan, dass sie seinen abgestandenen Atem riechen konnte. Bob senkte seine Stimme, als er sagte: »Paul lässt Sie schön grüßen, und er hofft, Sie haben nicht vergessen, mit wem Sie verheiratet sind. Er würde sehr böse werden, wenn inzwischen ein anderer Mann seinen Platz eingenommen hätte. Sehr, sehr böse sogar, darum hat er mich gebeten, bei Ihnen mal nach dem Rechten zu schauen und Sie daran zu erinnern, dass er bald wieder bei seiner Frau sein wird …«
    Susan atmete heftig, ihre Augenlider zuckten, trotzdem gelang es ihr, relativ ruhig und bestimmt zu antworten: »Das ist eine Sache, die nur Paul und mich etwas angeht. Wenn Sie jetzt bitte gehen würden?«
    Bob tippte kurz an seine schmuddelige Kappe, dann war er verschwunden. Plötzlich gaben Susans Knie nach. Sie sank auf den Fußboden und schlug die

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