Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
vom Spiegel mit Gislindis von Villip getraut.«
»Von Villip?«
»Ihr Vater lebt dort. Ein wackerer Mann, mein Verwalter.«
Alyss verschluckte sich fast.
»Das wird Mats gefallen – es gibt viele Werkzeuge zu schleifen. Ich denke, wir können sicher sein, dass sie alle dort in bester Ordnung gehalten werden.«
»›Wenn ein Eisen stumpf wird und an der Schmiede ungeschliffen bleibt, muss man mit ganzer Kraft arbeiten.‹ So hat schon der Prediger gesagt.«
»Ja, ja, Herr Vater. ›Die Worte des Weisen sind wie Stacheln, und wie eingeschlagene Nägel sind die einzelnen Sprüche.‹«
»Beherzigst du das, meine Tochter?«
»Ein jedes einzelne Wort aus Eurem Munde, Herr Vater.«
»Und dann kann ich auch beizeiten mit einem Enkel rechnen?«, grummelte er.
»Wir bemühen uns nach Leibeskräften.«
»Das habe ich mir gedacht. Sag deinem Bruder, dass ich dem Falkner befehle, morgen zur dritten Stunde bei mir vorstellig zu werden. Gewaschen und in sauberer Gewandung.«
»Um eines Eurer zermalmenden Ungewitter gewärtig zu sein?«
»Ich zermalme nicht.«
»›Aber vor deinem Schelten flohen sie, vor deinem Donner fuhren sie dahin.‹«
»Ist er ein solcher Feigling, dein Falkner?«
»Es wird sich weisen, Herr Vater.«
Ein fröhliches Lied wurde angestimmt, Musikanten mit Schalmeien, Leiern und Trommeln lockten zum Tanz, und angewidert strebte der Herr Ivo vom Spiegel aus dem Raum.
»Er schätzt seine Ruhe, Alyss«, sagte ihre Mutter und nahm sie am Arm, um sie ebenfalls aus dem heiteren Getümmel zu ziehen.
»Er wird morgen John niedermetzeln.«
»Ach ja. Dann wird sich zeigen, aus welchem Holz dein Lord geschnitzt ist.«
Alyss lächelte versonnen.
Eibenholz, zähes biegsames Eibenholz.
Sie wanderten hinaus in den Garten des Hauses und fanden eine ruhige Ecke, die von einem alten Apfelbaum beschattet wurde. Alyss lehnte sich an den Stamm, und ihre Mutter ließ sich auf der steinernen Bank nieder, die zum Verweilen einlud. Würde Frau Almut nun mit ihren inquisitorischen Fragen beginnen? Alyss erwartete es, wappnete sich, doch ihre Mutter hatte die Hände im Schoß gefaltet und schwieg, das Gesicht verträumt, wie immer, wenn sie mit ihrer ganz persönlichen Freundin Maria Zwiesprache hielt.
Und so ließ auch Alyss die Klänge aus dem Haus, das Lachen und die Juchzer der Tanzenden an sich abgleiten und lauschte auf den Gesang der Vögel.
Vorgestern war es gewesen, in der Nacht, in der der Mond sein Gesicht verdunkelt hatte und am wolkenlosen Firmament die Sterne glitzerten. Sie war wie so oft aus bösen Mahren aufgewacht, und da der Schlaf sich weigerte, sie wieder in die traumbunten Tiefen zu ziehen, hatte sie ihr Umschlagtuch über die Cotte gelegt und war in den Hof hinuntergeschlichen. Malefiz hatte sie begleitet und sich, als sie sich auf das Fass an der Scheunenmauer gesetzt hatte, mit einem leisen Maunzen verabschiedet. Wie so oft spendete ihr das Sternenlicht, die Unendlichkeit des Himmels, Trost, und alle Trauer wurde klein angesichts der Weite und Ewigkeit.
Doch kühl war die Maiennacht, und gerade, als sie fröstelnd die Decke fester um sich schlang, legte sich ein Arm um sie.
»Ihr friert, my Lady. Doch die Nacht ist schön und voller Verheißung auf einen lichten Tag.«
»John. Hat mein Poltern dich geweckt?«
»Deine leisen Schritte, my Alyss, höre ich im tiefsten Schlaf. Haben dich Mahre gepeinigt?«
»Erinnerungen. Doch Sternenglanz vertrieb die bösen Geister.«
Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sie war warm und stark und versprach Zuverlässigkeit. Sein Herz aber kündete Begehren. Und so tat es das ihre.
»Ich habe lange gewartet, my Alyss.«
»Dafür hab Dank. Doch soll nun das Warten ein Ende haben. Ich habe in jenen benommenen Nächten oft von dir geträumt, John. Geträumt von Leidenschaft und Hingabe.«
Ein Lachen erklang ganz nahe an ihrem Ohr, und ein Schauder durchfuhr sie.
»Und nun soll ich mich mit den Träumen der Fliegenpilze messen?«
»Wagst du es nicht?«
»Mit Beklommenheit und Angst.«
»Hah.«
Seine Lippen streiften ihre Schläfe.
»Nun, meine holde Lady, sollte Euch mein Dienst nicht gefallen, so bleibt noch immer der zauberische Pilz. Ich bin bereit, mich dem Urteil zu stellen.«
Heiterkeit und Verlangen durchpulste ihre Adern, und sie nahm seine Hand. Er folgte ihr ins Haus, und er folgte ihr in ihre Kammer.
Und nahm die Herausforderung an.
Als der erste Vogel die Morgendämmerung begrüßte, schlief sie beglückt und traumlos an
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