Morpheus #2
EINS
Die schwere Flügeltür des Gerichtssaals 4-8 öffnete sich schwungvoll und stieß gegen den Stuhl des Vollzugsbeamten, der gerade mit dem unters-ten Knopf seiner grünen Dienstjacke spielte. Ein Detective in Zivil kam herein. Man hörte die Absätze seiner Schuhe dumpf auf dem abgewetzten braunen Teppich aufschlagen, als er langsam durch den Mittelgang ging, an der gebannten Menge vorbei, um schließlich in den Zeugenstand vor Richter Leopold Chaskels Mahagonithron zu treten.
C. J. Townsend, stellvertretende Staatsanwältin der Stadt Miami, spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Sie biss sich auf die Lippen, um sie zu befeuch-ten, und versuchte ihre Nervosität vor den Kameras, den Gerichtszeichnern und Reportern, die jede ihrer Regungen verfolgten, zu verbergen. Ihr Herz pochte, und am liebsten wäre sie davongerannt. Doch sie musste das hier durchstehen. Sie zwang sich, geradeaus zu sehen. Den gut aussehenden Mann im italienischen Designeranzug, der mit demonstra-tiv gequälter Miene auf der anderen Seite der Galerie am Tisch saß, würdigte sie keines Blickes.
Doch sie wusste, dass er sie beobachtete, dass er auf ihre Reaktion wartete. Nur für sie versteckte er ein Grinsen hinter seiner falschen Qual.
«Ist die Staatsanwaltschaft bereit fortzufahren?», fragte Richter Chaskel. Es gefiel ihm nicht, dass dieser Fall wieder auf seinem Tisch gelandet war.
Er hatte einen Bilderbuch-Prozess hingelegt. Er hätte nie wieder aufgerollt werden dürfen. Jedenfalls nicht aus diesem Grund.
«Ja, das bin ich», antwortete Rose Harris, C. J.s Freundin – und ihre Kollegin in der Abteilung für Kapitalverbrechen der Staatsanwaltschaft Miami.
Nach einem kurzen Moment erhob sie sich und wandte sich an den Detective: «Bitte nennen Sie uns für das Protokoll Ihren Namen.»
«Special Agent Dominick Falconetti, Florida Department of Law Enforcement.»
«Seit wann sind Sie dort tätig?»
«Seit fünfzehn Jahren beim FDLE. Davor vier Jahre beim Bronx Police Department in New York.»
«Agent Falconetti, richten wir unseren Blick zurück ins Jahr 2000. Damals waren Sie der leitende Ermittler im Fall Der Staat Florida gegen William Rupert Bantling, ist das richtig?»
«Ja, Ma’am. Das FDLE hatte eine Task-Force einberufen – die Task-Force Cupido, wie sie genannt wurde. Sie bestand aus Beamten von verschiedenen Dezernaten. Die Task-Force war 1999
gegründet worden, um in einer Serie von Entführungen und brutalen Morden in Miami Beach zu ermitteln. Der Täter hatte den Spitznamen Cupido bekommen, weil er den Opfern buchstäblich die Herzen raubte, und der Name ist hängen geblieben.
Ich war von Anfang mit dem Fall betraut, und so habe ich die Ermittlungen später dann auch geleitet.»
Rose Harris zeigte auf den Mann am Tisch. «Und die Ermittlungen führten zu einer Verhaftung, am 19. September 2000, und zwar zu der von William Rupert Bantling?»
«Ja.» Dominick sah in Bantlings Richtung, der auf der Unterlippe kaute und wirkte, als wäre er den Tränen nah. «Mr. Bantling wurde auf dem McArthur Causeway von einem Beamten der Miami Beach Police festgenommen. Im Kofferraum seines Wagens lag die Leiche von Anna Prado.»
«Und daraufhin wurde Mr. Bantling wegen Mordes vor Gericht gebracht?»
«Ja.»
«Wer vertrat die Anklage in diesem Fall, Agent Falconetti?» Ihre Stimme wurde ein wenig schärfer.
Dominick zögerte einen Moment und sah zu C. J.
hinüber. «Staatsanwältin C. J. Townsend», sagte er mit belegter Stimme. «Sie hat die Task-Force über ein Jahr lang unterstützt.»
«Im Laufe des Verfahrens haben Sie ein intimes Verhältnis mit Ms. Townsend angefangen, ist das richtig?»
«Ja», sagte er und sah verlegen zu Boden. «Zwi-schen uns hat sich eine Beziehung entwickelt.»
«Und Mr. Bantling wurde vor Gericht verurteilt, richtig?»
«Ja. Er wurde für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.»
Jetzt stellte sich Rose Harris hinter Bantling an den Tisch. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, und er senkte demütig den Kopf.
«Doch dann haben Sie entdeckt, dass Mr. Bantling dieses Verbrechen gar nicht begangen hat, nicht wahr, Agent Falconetti?»
«Das weiß ich nicht mit Sicherheit.» Dominick rutschte nervös auf seinem Stuhl herum. Obwohl sie merkte, dass er ihren Blick suchte, starrte C. J.
weiterhin geradeaus. Unter dem Tisch hatten ihre Knie angefangen zu zittern.
«Sie sind auf Beweismittel gestoßen, Agent Falconetti, die Ihnen Grund gaben, an Mr. Bantlings Schuld zu zweifeln, nicht
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