Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
einige andere mehr in seinen tödlichen Sog ziehen sollte.
Lore hingegen blieb in Köln, wurde Köchin in einem Gasthaus an der Mülheimer Fähre und betreute das Messveech mit großer Güte. Geheiratet hat sie nicht, doch den nette Jong Cedric hat sie auch nie vergessen.
Brief der Autorin
Liebe Leserinnen und Leser,
s eit dreizehn Jahren verbringe ich nun einen Großteil meiner Zeit mit meiner »Kölner Familie«. Von dem Tage an, da Almut plötzlich vor mir stand und mir ihre Geschichte zu erzählen wünschte, von dem Augenblick, da Pater Ivo sein erstes Donnerwetter durch meine Finger in ein Manuskript krachen ließ, gehören sie und ihre Freunde und Feinde zu meinem Leben. Dass Almut und Ivo einander finden würden, hoffte ich, und als es schließlich so weit war, traten ihre Kinder Alyss und Marian an mich heran und wollten von sich erzählen.
Ich wurde im Hauswesen heimisch, lernte John und Gislindis kennen, das Jungvolk lieben und ergötzte mich an allerlei tierischen Gesellen. Dann tauchte Lore auf, ungeplant, scharfschnäbelig und frech. Ich habe ihr ihren Willen (und die Käferwecken) gelassen, und siehe da, sie entwickelte sich zu einer wichtigen Persönlichkeit.
Auch die jungen Männer, deren raue Kanten von Alyss und John geschliffen wurden, habe ich lieb gewonnen. Insbesondere der abenteuerlustige Frieder, der zwar ein gutes Herz, aber eine große Klappe besitzt, hatte es mir angetan.
Und dann heirateten Alyss und John of Lynne, und wie Lore sagte: Alles war jut.
Nur ich war plötzlich allein.
Ich hielt es nicht lange aus, und so tauchte eines Tages die Fährmannstochter aus dem Fluten des Rheins auf – Myntha, jung, lebenslustig und doch von einem schrecklichen Schicksal verfolgt. Dann kehrte Frieder zurück nach Köln, von Dämonen gehetzt und in düsterer Stimmung. Beide haben sie viel zu berichten. Ich bin selbst gespannt darauf, ob und wie es ihnen gelingt, die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln.
Wenn Sie wollen, fiebern Sie mit mir.
Andrea Schacht
Leseprobe
aus »Der Ruf des Raben«
von Andrea Schacht
erscheint voraussichtlich im Winter 2014bei Blanvalet
Prolog
Winter 1415
M yntha erwachte, und das Erste, was sie wahrnahm, war der warme, süße Geruch von Weihrauch. Ihre Lider jedoch waren so schwer, dass sie sie nicht öffnen mochte. Für eine Weile ließ sie sich einlullen von dem Duft und dem leisen Psalmodieren. Ein klein wenig bewegte sie ihren Kopf, und ein Stöhnen kam über ihre trockenen, rissigen Lippen.
Mit einem Mal änderten sich die Stimmen, wurden barscher, fordernder, und es gelang ihr, die Augen einen Spalt zu öffnen.
Flackerndes Kerzenlicht erfüllte den Raum, und undeutlich hob sich vor ihr eine dunkle Gestalt ab. Angst kroch ihr den Rücken empor, und plötzlich ertönte ein Schrei.
Mit entsetzlicher Klarheit erkannte sie den angespitzten Pflock in der Hand des Priesters, der damit auf ihr Herz zielte.
Sie versuchte sich wegzudrehen. Doch schon wurde der Priester von ihr weggerissen, es gab ein dumpfes Krachen und Knirschen und einen weiteren Schmerzensschrei.
»Myntha! Myntha, Kleine, du lebst!«
Es war die tiefe Stimme ihres Vaters, und seine starken Arme hoben sie hoch und drückten sie an sich. Zitternd schmiegte sie sich an seine breite Brust, und salzige Tränen netzten ihre Wangen.
»Papa?« Ihre Stimme war raspelnd und kaum hörbar, ihre Kehle schmerzte.
Und nicht nur die: Alle Knochen, alle Gelenke schmerzten, jeder Muskel – aber, ja, sie lebte. Eine weiche Decke wurde über sie gelegt, und ihre beiden bärtigen Brüder, Haro und Witold, nahmen sie aus den Armen ihres Vaters, hüllten sie in ihre Umhänge und trugen sie hinaus aus der weihrauchgeschwängerten Luft der Kirche in die dunkle Kälte.
Sie schloss wieder die Augen, sog aber die klare Frostluft tief in die Lungen, und in der sicheren Hut ihrer Brüder schlief sie wieder ein.
1. Kapitel
Mai 1420
E s hatte seine Vorteile, die Tochter des Fährmanns von Mülheim zu sein. Wann immer Myntha Lust hatte, die Annehmlichkeiten der großen Stadt zu genießen, begleitete sie ihre Brüder am Morgen auf der ersten Fahrt über den Rhein. So auch an diesem lieblichen Maitag, an dem die Vögel lauthals ihre Lieder zwitscherten und die leichte Brise, die durch das Tal wehte, an ihrem Gewand zupfte. Junge Federknäulchen folgten behäbigen Entenmüttern. Ihnen warf sie einige Krumen altbackenen Brotes zu und wurde mit einem vergnügten Schnattern belohnt.
Myntha zog den Schleier über
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