Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
an ihn. » Wenn Mutter wieder gesund wird, bekommt sie ein neues, schönes Strohlager. «
» Und neue Kleider « , ergänzte er. » Der Arzt hat mich vorhin besucht und angewiesen, alles zu vernichten. «
Das Feuer auf dem Hof war erloschen.
» Ich habe Martin getroffen und ihm von Mama berichtet. Er hat mir verboten, sie zu besuchen, aber er will den Onkel bitten, ob er irgendetwas über sie herausfinden kann. Vielleicht dürfen wir ihr wenigstens Grüße ausrichten. «
» Möge Gott sie beschützen « , erwiderte Sebastian leise.
KAPITEL 2
E in Tuch auf Mund und Nase gepresst, starrte Sebastian in die Flammen des Scheiterhaufens, den man auf dem St.-Rochus-Friedhof errichtet hatte. Der Gestank des Todes schien durch jede Falte seiner Kleidung zu dringen und sich auf sein Gesicht zu legen, bis er glaubte, daran ersticken zu müssen. Während die Funken in den Abendhimmel stoben, stieg bittere Säure in Sebastians Kehle empor.
» Komm jetzt, wir müssen gehen « , vernahm er die Stimme seiner Schwester Anna dicht neben sich.
» Noch nicht. Warum … warum nun auch noch Mutter? « , gab er zurück.
» Nicht einmal ein eigenes Grab wird sie bekommen, sondern in einem Massengrab liegen. « Seine Sicht verschwamm. Der Schwarze Tod hatte ihnen alles genommen, zuerst Vater. Dann Xaver. Er war nur sechs Jahre alt geworden, als die Pestilenz ihm vor knapp zwei Wochen den letzten Lebenshauch aus den Lungen gepresst hatte. Und nun Mutter. Hätte der Herrgott nicht wenigstens sie verschonen können?
St. Lienhard und St. Johanni waren den erkrankten Frauen vorbehalten. So hatten die Männer es Sebastian erklärt, als sie seine Mutter vor einer Woche – zusammen mit ein paar anderen Kranken aus ihrer Straße – auf einem Ochsenkarren fortgebracht hatten.
Kälte kroch ihm in die Glieder, während er auf das beinahe heruntergebrannte Feuer blickte. Nicht nur die abendliche Kühle, sondern vor allem die Nähe des Todes ließ ihn frösteln. Seit vergangenem Sommer wütete die heimtückische Krankheit in seiner Heimatstadt. Unzählige Menschen waren ihr bereits erlegen, und der Schwarze Tod machte vor niemandem Halt. Weder vor dem armen Teil der Bevölkerung noch vor den Kaufleuten und Patriziern, die, wie es hieß, in großer Zahl aufs Land geflüchtet waren.
» Wir können hier nichts mehr tun, Bruder. Lass uns gehen. «
Seine Schwester fasste ihn unter. Nur widerwillig ließ er sich von dem Ort des Grauens fortziehen.
» Onkel Gerald wird es nicht gutheißen, wenn er erfährt, dass wir hier waren. «
Er blieb stehen und strich ihr über das lange dunkelblonde Haar. Nachdenklich betrachtete er sie für einen Moment von der Seite. Auch Anna litt, selbst wenn sie es verstand, ihre Empfindungen hinter einer Maskerade aus Beherrschtheit zu verstecken. Die braunen, glanzlosen Augen und das Zittern ihrer Finger, als sie sich in seine schoben, waren deutlich genug.
Schweigend machten sie sich auf den Rückweg zu Gerald Pfanners Haus in der Nähe des Frauentors. Sebastian hatte den verkniffen wirkenden Mann noch nie ausstehen können. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sein Onkel vor etwa einem Jahr damit angegeben hatte, in den Nürnberger Rat aufgenommen worden zu sein. Ausgerechnet bei diesem griesgrämigen Prahlhans mussten Anna und er nun wohnen. Wie anders war Mutter mit ihren strahlenden Augen und dem meist lächelnden Mund, dachte Sebastian, während er auf dem Kornmarkt einem alten Mann auswich, der sich in einem kleinen Karren hockend mühsam auf sie zuschob. Dem Alten fehlten beide Beine. Sebastians Herz machte einen schmerzhaften Satz. Wie kam es nur, dass die Pest nicht die Klauen nach Anna und ihm ausstreckte?
» Leute von Nürnberg! « , riss eine schrille Stimme ihn aus seinen trüben Gedanken. Er spähte in die Dunkelheit. » Tut Buße, denn der Zorn des Allmächtigen ist über euch gekommen. «
Ein Mann, um den sich eine kleine Traube Zuhörer gebildet hatte, streckte die Arme zum Himmel und fuhr mit sich fast überschlagender Stimme fort: » Kehrt um zum Herrn, Männer und Frauen von Nürnberg, sonst wird der Herr euch mit den Plagen Ägyptens schlagen! Wehe euch, denn der Tag des Zorns ist nahe, an dem Feuer vom Himmel fallen wird, um euch alle zu verschlingen! «
Einige der Umstehenden lachten, andere traten näher heran.
» Was sollen wir tun? Wie können wir dem Zorn des Herrn entkommen? « , rief eine junge Frau.
» Tut Buße, kehrt um von euren bösen Wegen! « , schrie der Mann. » Lasst
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