Das Haus mit der grünen Tür
1
Am Anfang war das Büro, und im Büro saß ich. Ich hatte die Beine auf dem Schreibtisch. Der Schreibtisch war aufgeräumt und übersichtlich. Links lag ein Stapel Rechnungen. Rechts, was ich an Bargeld hatte: zwei Kronen und dreißig Øre. Daneben stand ein Telefon und zerbrach sich den Kopf, wie es mir das Geld abluchsen könnte. In einer Ecke des Zimmers stand ein grauer Aktenschrank. Er war leer. An einer Wand stand mein Wandsafe. Er enthielt meinen gesamten Besitz: ein Sparbuch mit einem Notkontostand von 503,75 Kronen. Die Doppeltür zum leeren Wartezimmer stand einen Spalt offen. Aber es sah niemand herein.
Das Büro lag am Ende eines langen staubigen Korridors. Ich hatte es von einem Arzt für Allgemeinmedizin übernommen, der gegen seinen eigenen Tod kein Rezept ausschreiben konnte. Die Luft im Raum war noch immer stickig und schwer von den Sorgen und Nöten eines ganzen Lebens. Das Büro lag im dritten Stock eines Hauses am Strandkai, und das einzige, was mich daran hinderte, an Langeweile zu sterben, war die Aussicht. Wenn ich mich erhob und ans Fenster ging, konnte ich auf das wimmelnde Marktleben des Torget hinuntersehen. Wenn ich sitzen blieb, sah ich den ganzen Fløien vor mir. Am Berghang konnte ich den Wechsel der Jahreszeiten verfolgen. Jeden Winter lag dort vierzehn Tage lang Schnee. Wenn es auf den Frühling zuging, krümmten die nackten Bäume den Rücken und stemmten sich gegen den Boden. Mitte bis Ende Mai wurde der Berghang grün. Dann räkelte er sich in der Sonne, bis mit Regen und grauem Wetter der Juli begann. Langsam wechselte er die Farbe, wenn es Herbst wurde: von grün zu gelb und rot und schließlich braun. Nur die immergrünen, dunklen Fichten und die üppigen Kiefern wahrten ihr Gesicht, wenn es auf den Winter zuging. Es war einer der letzten Tage im Oktober, und der Berg hatte schon vorsichtig begonnen, sich auf den Winter einzustellen. Es war ein grauer Tag, und noch kein Schnee gefallen. Das einzige Ereignis war die ewige Pendelfahrt der Fløienbahn. Auf und ab. Auf und ab. Und das sah ich nicht zum ersten Mal.
Ich gähnte. Um sicherzugehen, daß keine von ihnen sich unbemerkt in Wohlgefallen aufgelöst hatte, zählte ich die Rechnungen. Lichtrechnung, Miete, Versicherung, eine fällige Kreditrate von tausend Kronen, eine Abzahlung alter Schulden, eine Rechnung einer Firma für Bürobedarf. Sie waren alle da.
Da klingelte das Telefon.
Ich sah es erschrocken an. Dann nahm ich den Hörer ab und sagte: »Veum.«
Eine klangvolle Stimme sagte: »Hier ist William Moberg. Der Anwalt.«
Ich sagte: »Ach, Sie sind’s.«
Es entstand eine kleine Pause. Dann war die Stimme wieder da. »Wie bitte?«
Ich schielte auf den Stapel mit den Rechnungen und sagte: »Zu Diensten.«
»Ach so. Sie sind V. Veum, der Privatdetektiv?«
»Der bin ich.«
»Ich – habe einen Auftrag für Sie. Könnten Sie in meinem Büro vorbeikommen?« Er nannte seine Adresse, zu Fuß zwei Minuten entfernt.
»Worum geht es?«
»Das möchte ich höchst ungern am Telefon diskutieren. Wann paßt es Ihnen?«
»Jederzeit. Ich bin frei und ungebunden.«
»In einer Stunde paßt gut.«
»Gut. Dann reden wir weiter.«
»Das wird sich kaum vermeiden lassen.«
»Wiederhören.«
»Wiederhören.«
Ich blieb noch eine Weile sitzen, aber der Friede war gestört. Ich war unruhig. Ich ging ins Wartezimmer, setzte mich auf einen Stuhl und begann in einer Wochenzeitschrift zu blättern. Sie war zwei Jahre alt. Ich hatte sie von dem Arzt geerbt und kannte sie schon auswendig.
Die Tür zum Wartezimmer hatte eine geriffelte Glasscheibe. Auf der Scheibe standen mein Name und Beruf gemalt, mit feinen, frischen Buchstaben.
Mein vollständiger Name ist Varg Veum. Um eventuelle Kunden nicht zu verschrecken*, hatte ich ihn abgekürzt, so daß da nur stand:
V. Veum Privatdetektiv
Vorläufig hatte sich das als ausreichend erwiesen.
Nachdem ich einen ungemein interessanten Artikel über die Fortpflanzungsmethoden des Mistkäfers gelesen hatte, stand ich auf, ging ins Büro zurück und gab den Dingen dort die Anweisung, zu bleiben, wo sie waren. Ich zog meine Jacke an, verschloß die Tür und machte mich auf den Weg zu meinem Rendezvous mit William Moberg, dem Anwalt.
* Norw. varg bedeutet Wolf; die altnordische Formel vargr i véum bezeichnete den Geächteten (wörtliche Bedeutung: Schänder eines Heiligtums).
2
William Moberg, der Anwalt, hatte eine Sekretärin. Sie hatte eine Haarfarbe, die mich an den Schnee auf
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