Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
eurer Eltern ist verkauft. Nächsten Monat schon wird sie übernommen werden. Scheint ein anständiger Kerl zu sein, der neue Besitzer. «
» Das ist eine gute Nachricht, Oheim. Was wird aus Jörg? « , fragte Anna.
» Der Geselle kann bleiben « , lautete Pfanners knappe Antwort.
Während er den Blick weiterhin auf Sebastian geheftet hielt, forderte er Anna auf, ihm nachzuschenken. Er setzte den Becher mit dem schäumenden Gerstensaft an die Lippen und nahm einen tiefen Zug.
» Hör zu, Junge. Ich habe eine Stelle für dich gefunden. Du wirst bei einem Beinschnitzer in die Lehre gehen. Stöckl hat seine Werkstatt in der Schustergasse, er sucht einen Lehrjungen. «
» Eine Lehrstelle? Bei einem Beinschnitzer? « Sebastians Gesicht rötete sich vor Freude.
Anna wurde warm ums Herz. » Brüderchen, wie schön. « Über den Tisch hinweg fasste sie nach seiner Hand. » Du wirst bestimmt ein guter Beinschnitzer. «
» Nun zu dir, Mädel « , fuhr der Onkel fort. » Ich möchte dich in Sicherheit wissen, verstehst du? Ich werde dich an einen Ort bringen, an dem die Seuche dir nichts anhaben kann. «
Anna blickte ihn reglos an, wartete.
» Du wirst morgen im Kloster Heilig-Kreuz erwartet, in Regensburg. Die Mutter Oberin ist eine langjährige gute Kundin von mir, sie wird dich mit offenen Armen empfangen. Dort wirst du Gott von nun an in Gebet und Kontemplation dienen. «
Gebet und Kontemplation – was immer dieses Wort bedeuten mochte. Sie starrte ihn an, wollte widersprechen, doch aus ihrem Mund drang kein einziger Laut.
» Bisher wurde niemand rund um das Kloster von der Seuche heimgesucht, Mädchen. Dort bist du sicher. Morgen vor Sonnenaufgang wird dich ein befreundeter Händler mitnehmen, der Richtung Regensburg fährt. «
Anna schüttelte den Kopf. » Das … das kannst du … nicht tun. «
Zwischen den Brauen des Gewandschneiders bildete sich eine steile Falte. » Doch, Anna, ich kann. Und du wirst mir gehorchen! «
» Onkel « , vernahm sie die aufgebrachte Stimme ihres Bruders, » nicht nach Regensburg! «
» Schweig! « Pfanner zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Sebastian und fuhr von seinem Stuhl hoch. » Ich erwarte Gehorsam und Respekt von euch, verstanden? Wer hat euch denn nach dem Tod eurer Eltern aufgenommen? Sagt es mir! « Seine Stimme glich nun einem Donnergrollen.
Anna sprang auf. Sie zitterte wie Espenlaub. » Ja, das warst du, Onkel Gerald, und dafür sind wir dir auch dankbar. « Sie brach ab und rang um Fassung. » Aber bitte schicke mich nicht … «
» Still, Anna, und vergiss nicht, mit wem du sprichst! Es ist beschlossene Sache. Du wirst jetzt auf die Kammer gehen und deine Sachen packen. Das ist mein letztes Wort! «
Onkel Gerald stand so dicht neben ihr, dass sie seinen nach Bier riechendem Atem auf der Wange fühlte. Martin, dröhnte es unaufhörlich in ihrem Kopf.
Mit butterweichen Knien drehte sich Anna auf dem Absatz um und stieg, ohne den Onkel noch eines Blickes zu würdigen, die Stufen ins Obergeschoss hinauf. Sebastian folgte ihr bis vor die Kammertür, doch als er sie am Arm berührte, machte sie sich von ihm frei, stieß die Tür auf und ließ sich bäuchlings auf ihre Schlafstatt fallen.
» Schwesterchen, sieh mich an « , flüsterte Sebastian nach einer Weile kaum hörbar.
Anna drückte ihr Gesicht tiefer in die Kissen. » Ich … ich kann nicht. «
Tatsächlich war es ihr, als könnte sie ihre Glieder nicht mehr rühren, denn sie waren auf einmal schwer wie Blei. Dann spürte sie, wie er ihr sachte über das Haar und den Rücken strich.
» Warum tut er das, Anna? Wieso trennt er uns beide? « Sebastians Stimme klang tränenerstickt.
Sie fuhr herum und blinzelte. Nie zuvor hatte sie ihren Bruder weinen sehen. » Weil er damit alle Sorgen auf einen Streich los ist, deshalb! Zusätzliche Mäuler braucht er auch keine mehr zu stopfen. Was mit uns geschieht, ist ihm doch völlig einerlei! «
Sebastian riss die Augen auf. » So darfst du nicht reden, Anna. Er will sicher nur das Beste für uns. Wenn die Pest das Kloster bisher verschont hat, ist es doch nur verständlich … «
» … dass er mich dorthin verbannt? Ach, Sebastian, das glaubst du ihm doch nicht etwa? Mir kann er jedenfalls nichts vormachen. «
In seinen Augen lag noch immer ein feuchter Schimmer. Sie küsste ihn leicht auf die Wange und wandte sich ab, denn sie konnte seine Verzweiflung nicht länger ertragen.
Warum tat Onkel Gerald ihnen das an? Dass er Anna durch seine Entscheidung auch
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