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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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sein. Er aber sah nur, dass dieses Kind schwächlich war und dass es winzige Händchen mit kraftlosen, kurzen Fingern hatte. Keine Klaviertatzen, wie er es so sehnsüchtig erwartet hatte. »Hier ist deine kleine Clara«, sagte Marianne mit erschöpfter Stimme, aber versöhnlich nach all den schweren Monaten.
    Doch Friedrich Wieck schüttelte den Kopf. »Ihr Name soll Adelheid sein«, erklärte er und ging hinaus.
    Als Adelheid nach neun Monaten starb, wunderte es ihn kaum. Er hatte in letzter Zeit so viel gearbeitet, dass er die Gegenwart dieses Kindes kaum noch bemerkte. Es war ihm fremd geblieben, und auch Marianne war ihm fremd geworden. Zwar bestand ihre Ehe weiter, denn so war es Pflicht nach den Gesetzen Gottes und des Staates, aber die Liebe war erloschen, irgendwann auf der Strecke geblieben, als ihn seine junge Frau zurückwies, der er sich geöffnet hatte wie noch nie einem Menschen zuvor.
    Lass mich in Ruhe ... Er ließ sie in Ruhe und verschloss sich bis zu dem Augenblick, als man ihm sein zweites Kind entgegenhielt: wieder ein Mädchen, aber diesmal ein kräftiges, gesundes. Er brauchte nur die Hände zu sehen, die wie zwei selbstständige Lebewesen nebeneinander auf dem Steckkissen lagen. »Klaviertatzen«, murmelte er und errötete vor Freude. »Richtige kleineElefantenpfoten!« Und er streichelte diese Hände, die für alle Welt einfach nur die Hände eines Neugeborenen waren, für ihn aber die Symbole der ersehnten Zukunft. »Du wirst sie alle überflügeln, meine süße Clara«, flüsterte er. »Hummel oder Moscheles – man wird sie vergessen, wenn man dich spielen hört.« Er schämte sich nicht, dass Tränen über seine Wangen flossen und auf die Wangen der kleinen Clara tropften, die ihn mit großen dunklen Augen anblickte, als verstünde sie alles.
    Alwin wurde geboren und danach Gustav, doch Friedrich Wieck nahm die Knaben kaum zur Kenntnis. »Söhne sind nichts Besonderes«, antwortete er, als ihm Marianne vorwarf, er kümmere sich nicht um die Knaben. »Das Höchste, was man von den Burschen erwarten kann, ist, dass sie anständige Kerle werden.« Dafür aber, so lautete die unausgesprochene Aufforderung an seine Frau, habe die Mutter zu sorgen.
    Es war, als hätte Friedrich Wieck nur ein einziges Kind, seine Clara, der er leise Tonleitern vorsang, der er die Klavierhändchen führte und an deren Zimmer er nicht vorbeigehen konnte, ohne wenigstens einen Blick hineinzuwerfen. Danach wandte er sich wieder seinen mannigfachen Tätigkeiten zu, unterrichtete, führte die Musikalienhandlung, tüftelte an der Verbesserung seiner Klaviere herum, organisierte Veranstaltungen und reiste immer wieder nach Wien, um Klaviere auszusuchen und den Herstellern Vorschläge zur Perfektionierung ihrer Instrumente zu unterbreiten.
    Wenn er zurückkehrte, brachte er stets ein kleines Geschenk für Clara mit, doch nur für sie, denn nur sie liebte er. Die Frau, die ihn zurückgewiesen hatte, schien für ihn höchstens noch ein Teil seines Hauses zu sein, ein Möbelstück. So stolz er früher auf sie gewesen war, so wenig bedeutete es ihm nun, wenn man ihr Talent und ihre Schönheit rühmte. Es störte ihn sogar, dass sie immer wieder im Gewandhaus Konzerte gab, die vom Publikum mit viel Applaus aufgenommen wurden. »Eine Ehefrau soll das Vermögen ihrer Familie durch Sparsamkeit mehren und nicht damit,dass sie sich zur Schau stellt«, sagte er missmutig. Wären da nicht die Honorare gewesen, die nun tatsächlich zum Familienkapital beitrugen, hätte er Marianne die Konzerte vielleicht sogar verboten. Sie hätte es nicht verhindern können, denn er war das Familienoberhaupt, und was er entschied, hatte zu geschehen.
    Doch Marianne war nie eine gewesen, die schwieg und demütig einsteckte. Wenn sie unzufrieden war, sagte sie es, und oft sagte sie es laut. Sehr laut. Und Friedrich Wieck antwortete kein bisschen leiser. »Sie streiten schon wieder«, seufzten die Dienstboten dann und schworen, früher oder später würden sie dieses Haus verlassen und sich einen friedlicheren Posten suchen. Sie alle standen aufseiten Mariannes. Den Hausherrn mochte keiner. DAS nannten ihn seine Schüler, was von »Der Alte Schulmeister« kam. Als Friedrich Wieck davon erfuhr, fürchtete man ein kräftiges Donnerwetter. Doch erstaunlicherweise lachte er und verwendete diesen Spitznamen manchmal sogar selbst. Dann aber wurde wieder gestritten, laut und beleidigend und ohne Rücksicht auf die Kinder. Alwin und Gustav rannten in ihre

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