Das Maedchen am Klavier
Zimmer und versteckten sich.
Nur Clara zeigte keine Regung. Sie unterbrach ihr Spiel nicht, wandte nicht einmal den Blick. Es war, als bemerkte sie gar nicht, was geschah. »Nicht mehr streiten!«, rief Alwin manchmal schluchzend, und Gustav flüsterte verzweifelt: »Böser Papa!« Doch von Clara hörte man solche Worte nicht. Lange schwieg man darüber, nur die Dienstboten munkelten, das Mädchen möge ja fürs Klavier begabt sein, wie sein Vater ständig herumtöne, eigentlich aber sehe es aus, als sei es stumm oder vielleicht sogar taub. »Wiecks Clara spricht nicht«, raunte man sich auch im Bekanntenkreis zu. Offen wagte man es nicht zu sagen.
»Sag etwas, Clärchen!«, flüsterte Marianne unter Tränen, wenn ihr Mann nicht da war. »Du bist doch ein gescheites Mädchen! Ganz bestimmt bist du gescheit. Aber warum sprichst du dann nicht?«
Doch Clara schaute ihre Mutter nur ernst an und schwieg.Manchmal ging sie, wie um eine Antwort zu geben, zum Klavier und klimperte, was sie vom Vater gelernt hatte. Dann weinte Marianne noch mehr, und die Knaben versetzten der Schwester einen Stoß und sagten, sie sei blöde.
Der Einzige, der sich über Claras Schweigen keine Gedanken machte, war ihr Vater. »Das kommt alles noch«, sagte er noch lauter als sonst. »Wunderkinder entwickeln sich nicht wie der Durchschnitt.« Er kniff die Lider zusammen und starrte Marianne fast boshaft an. »In der Kunst spielt eine kleine Unvollkommenheit keine Rolle«, fügte er hinzu und erzählte von dem blinden Wunderkind aus Oranienburg, das als »Dulon, der blinde Flötenspieler« in ganz Europa berühmt geworden war. »Das Publikum liebt die Sensation«, sagte er und wusste genau, dass er Marianne weh tat. »Wenn unsere Clara nicht sprechen lernt ...« Er konnte nicht weiterreden, denn Marianne stürzte sich auf ihn und hielt ihm den Mund zu. Dann fing sie an, laut zu schluchzen, während Clara schweigend in der Ecke stand, als hätte sie nichts gehört.
Ein falscher Freund
1
Es roch schon nach Schnee, als Friedrich Wieck ganz unerwartet verkündete, er werde in zwei Tagen nach Wien aufbrechen. Seine Versuche in der Werkstatt hätten Früchte getragen, und es sei nötig, die neuen Verbesserungen in der Klaviertechnik so schnell wie möglich mit den Wiener Instrumentenbauern zu besprechen. Worum es im Einzelnen gehe, brauche Marianne nicht zu interessieren. Sie werde genug zu tun haben, ihn beim Unterricht und im Laden zu vertreten.
Marianne wollte aufbrausen, weil sie sich übergangen fühlte. Doch dann schwieg sie. Ihr wurde bewusst, dass die Mehrarbeit sie nicht erschreckte. Dafür aber würde im Haus endlich Ruhe einkehren. Keine Kommandostimme, die jede Tür durchdrang, kein Streit und keine weinenden Knaben, die sich vor dem Vater fürchteten und sich wie kleine Duckmäuser in eine Ecke drückten, wenn er sie ansprach.
»Und wenn du in den Schnee gerätst?«, wandte Marianne höflich ein, obwohl es ihr eigentlich gleichgültig war.
Friedrich Wieck zuckte die Achseln: »Dann dauert die Reise eben länger.« Er zögerte kurz, dann tätschelte er Mariannes Wange. »Meine tüchtige kleine Frau!«, sagte er, doch es klang nicht zärtlich wie früher, sondern nur wie eine Floskel. Viele Ehemänner im Wieck’schen Bekanntenkreis sprachen so mit ihren Frauen: keineswegs unfreundlich, doch ohne Liebe oder gar Leidenschaft. Der Herr des Hauses ließ sich wohlwollend herab, ganz Ebenbild der staatlichen Obrigkeit, der alles zu gehorchenhatte, deren Strenge dafür aber Ordnung versprach, Versorgung und Schutz vor allem, was die Sicherheit gefährdete. Das Untier Napoleon war endlich auf seiner Insel im fernen Atlantik verreckt, und nur unverbesserliche Unruhestifter schwärmten noch heimlich von den Ideen der Revolution, der der spätere Kaiser wie einem Drachenei entsprungen war. »Meine tüchtige kleine Frau!«, wiederholte Friedrich Wieck und strich über Mariannes Haar. »Schade, dass du dein Haushäubchen nicht tragen willst.«
Mariannes Augen wurden schmal. »Warum sollte ich meine Haare bedecken?«, fuhr sie auf. »Früher gefielen sie dir. Du konntest gar nicht genug davon bekommen, mit ihnen zu spielen und in ihnen herumzuwühlen.«
Friedrich Wieck zog seine Hände zurück, als hätte er in Flammen gegriffen. Er blickte sich zu den Knaben um, die vor dem Fenster standen. »Nimm endlich den Daumen aus dem Mund, Gustav!«, fuhr er das Kind an, das aufschluchzte und aus dem Zimmer flüchtete. Dann wandte er sich wieder zu
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