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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Marianne um. »Sei bitte nicht geschmacklos, meine Liebe!«, sagte er bedrohlich leise. »Alles hat seine Zeit. Man sollte nicht die Verwirrungen der Jugend gegen die Vernunft der reiferen Jahre ausspielen.«
    »Reifere Jahre?« Mariannes Wangen hatten sich gerötet. »Ich bin sechsundzwanzig! Nimm bitte zur Kenntnis, dass ich mich noch jung fühle.« Sie wollte weitersprechen, doch Friedrich Wieck schnitt ihr das Wort ab. »Leider!«, antwortete er in scharfem Ton und ließ sie stehen.
    Marianne starrte ihm nach. »Ich hoffe, du versinkst im Schnee und kommst nie mehr zurück«, flüsterte sie. Sie umarmte Alwin, der zu ihr floh und sich an sie schmiegte. Sie wusste, dass Friedrich Wieck ihre Worte nicht gehört hatte, doch es war schon ein Trost, sie auszusprechen.
    Als zwei Tage später zu nachtschlafender Zeit das Haustor hinter Friedrich Wieck zufiel, war er bereits vergessen. Es schien, als hätte sich sogar die Luft im Hause von einem Augenblick zum nächsten verändert. Alwin und Gustav, die sonst um diese Zeitnoch schliefen, tippelten eilig aus ihrem Zimmer und stellten sich hoffnungsvoll vor das Bett ihrer Mutter, die ihnen lächelnd zunickte. Da jauchzten sie auf und schlüpften zu ihr unter die warme Decke. Schon lange waren sie nicht mehr so fröhlich gewesen. Sie schrien vor Entzücken, als ihre Mutter sie kitzelte und umarmte und sie ihre gescheiten kleinen Buben nannte. Als das Talglicht erloschen war, schliefen sie ein, müde, glücklich und ohne Angst. Keiner von ihnen dachte an Clara, die allein in ihrem Zimmer lag und zur Decke blickte. Nur von ihr hatte sich der Vater verabschiedet, und nur sie dachte noch an ihn. Marianne und die Knaben waren sich selbst genug. Sie kamen nicht einmal auf den Gedanken, sich auf Friedrich Wiecks Seite des Ehebettes auszubreiten, auf dem noch zerknüllt das Federbett lag, so wie er es zurückgelassen hatte. Sogar von den Dingen, die zu ihm gehörten, wurde Abstand gehalten.
    Das Leben im Hause veränderte sich. Da Friedrich Wieck nicht zugegen war, entfielen die allabendlichen Empfänge. Es wäre unpassend gewesen, eine bürgerliche Ehefrau in Abwesenheit ihres Gatten nach Sonnenuntergang aufzusuchen. Der Einzige, der hin und wieder am Nachmittag vorbeikam, war Adolph Bargiel. Dann trank er mit Marianne Tee, machte Johanna Strobel anzügliche Komplimente und fragte den Diener August nach seiner Familie auf dem Lande. Er kniff das Dienstmädchen in die Taille und lachte, wenn es geschmeichelt und empört zugleich aufschrie: »Sie sind mir aber einer, Herr Bargiel!« Währenddessen rutschte Adolph Bargiel bereits mit den Knaben das Treppengeländer hinunter oder nahm Clara auf den Schoß und ließ sie vorspielen, was sie von ihrem Vater gelernt hatte.
    Es waren ruhige Tage, während draußen der Schnee fiel und die winterliche Stadt sich auf Weihnachten vorbereitete. Johanna Strobel buk die ersten Stollen, die noch Zeit brauchten, um bis zum Fest auszureifen und durch und durch weich zu werden. Johanna war froh, dass sich ihre Herrin für die Küche nicht interessierte, sondern lieber Klavier spielte oder zur Begleitungdes Herrn Bargiel sang. Eine so schöne Stimme!, dachte Johanna dann. Wenn auch noch die beiden Knaben in die Lieder einstimmten, schniefte sie sogar kurz auf und war – irgendwie – glücklich. Die Musik hatte wohl doch etwas an sich, auch wenn man es in Gegenwart von Herrn Wieck nicht merkte.
    Tonleitern und Etüden griffen nicht an Johanna Strobels Herz. Doch wenn Adolph Bargiel mit schmelzender Stimme »Teure Minka, ich muss scheiden« sang und Johanna dabei anblickte, als wäre genau sie jene wunderschöne Minka, von der der Liebende sich nicht trennen wollte, dann tupfte sie mit dem Saum ihrer Schürze in ihre Augenwinkel und erinnerte sich an einen Kuss vor sehr vielen Jahren. Es war der einzige Liebeskuss ihres Lebens geblieben, denn Johanna war immer vernünftig gewesen. Unzählige Geschichten über Mädchen wie sie, die vom Lande kamen und in der Stadt in Schande gerieten, hatten sie davor bewahrt, etwas zu wagen, und sei es auch nur ein flüchtiges Glück in den Armen eines jungen Mannes, mittellos wie sie selbst und vielleicht sogar guten Willens. Woher aber sollte man wissen, wem man trauen konnte? Da war es besser, Nein zu sagen. Immer wieder Nein, auch wenn es schwerfiel. Doch vermied man damit wenigstens das Schlimmste. Man behielt seinen sicheren Posten im Hause, war halbwegs angesehen auf dem Markt und bei den Lieferanten und blieb

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