Das Maedchen am Klavier
nie weinend zurück.
Teure Minka, ich muss scheiden: keine Option für Johanna Strobel. Kein überschwängliches Glück, aber auch keine Verzweiflung in Verlassenheit und Schande. Wenn Johanna Strobel in der Kirche das Bild von den klugen und den törichten Jungfrauen sah, wusste sie immer, wohin sie selbst gehörte. Sie war mit ihrem Öl stets sparsam umgegangen, und da sie das warme Licht nie kennengelernt hatte, vermisste sie es auch nur selten und mit zunehmendem Alter immer weniger.
Da Friedrich Wieck nicht da war, um alle Aufmerksamkeit zu beanspruchen, hatte Marianne nun auch für Clara mehr Zeit. Sie sorgte dafür, dass das Kind jeden Tag Klavier übte, und stellte fest, dass ihre Tochter mit dem Instrument fast verwachsen war.Während Alwin und Gustav im Hause herumtollten, saß Clara freiwillig am Klavier, und jeden Tag schien sich ihre Geschicklichkeit zu verbessern. »Dein Papa wird sich freuen, wenn er zurückkommt«, sagte Marianne lächelnd. Es kam ihr vor, als ob Claras Augen aufleuchteten. So genau konnte man das jedoch nie wissen. »Sag etwas, Clärchen!«, flehte Marianne dann. »Nur ein einziges Wort!«
Aber Clara schwieg, auch wenn sie bereitwillig mit ihrer Mutter durch die Wohnung ging und sich sagen ließ, wie die einzelnen Gegenstände hießen. Sie hörte den Geschichten zu, die Marianne ihr und den Knaben erzählte, von armen, verlassenen Kindern, von Königstöchtern und Drachen und von schlauen Bauernburschen, die alle Hindernisse überwanden, um die traumschöne Prinzessin zur Frau zu gewinnen. Clara schien von den Erzählungen gefesselt zu sein wie ihre Brüder, doch während jene aufgeregt nachfragten und alles noch genauer wissen wollten, schwieg Clara. Wie immer.
2
Von Friedrich Wieck trafen Nachrichten ein, die seine Familie beunruhigt hätten, wäre sie nur ehrlich um ihn besorgt gewesen. Auf seiner Reise war er tatsächlich von einem frühzeitigen Wintereinbruch überrascht worden. Auf einer Straße entlang der Donau war seine Kutsche im Schneetreiben vom Weg abgekommen und eine Böschung hinabgestürzt. Der Postillion hatte dabei den Tod gefunden, während die Passagiere mit leichten Blessuren ins Freie krochen, gerettet, doch noch nicht in Sicherheit.
Die Nacht war bereits hereingebrochen. Unablässig fiel der Schnee vom Himmel. »Man konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Gestöber jemals ein Ende finden würde«, schrieb Friedrich Wieck an Marianne – später, als er alles überstanden hatte und in einem Wiener Hotelfoyer am warmen Ofen saß. »Nur der Gedanke an Dich, meine innigst geliebte Frau, und an unsere gutenKinder bewahrte mich davor, zu verzweifeln und mich tatenlos meinem Schicksal zu ergeben.«
Marianne wunderte sich nicht über den zärtlichen Ton seines Schreibens. Er entsprach der Konvention ihrer bürgerlichen Welt, die davon ausging, dass Eheleute einander liebten und ehrten. Auch wenn ein Großteil der Eheschließungen mehr von der Vernunft als von schmachtenden Gefühlen veranlasst war, unterstellte man doch, dass sich in der Ehe wie von selbst auch die Liebe einstellen würde. Die Kraft des christlichen Sakraments, die gemeinsame Nachkommenschaft und das tägliche Zusammenleben würden dafür sorgen, dass auch jene zusammenfanden, die einander vor der Trauung noch fremd geblieben waren. Niemand sprach darüber, dass nur allzu oft am Altar der Falsche gewartet hatte. Wie auch immer es drinnen aussah – der Ehrenkodex verlangte, dass das Ideal der Ehe nach außen hin aufrechterhalten wurde. Es wäre schon ein Tabubruch gewesen, in Gesellschaft zu streiten oder auch nur unhöflich zueinander zu sein.
Zur Öffentlichkeit gehörte auch alles, was schriftlich niedergelegt wurde, selbst Briefe und Tagebücher. Sogar ein Mann wie Friedrich Wieck schlug in Briefen einen Ton an, den er im täglichen Leben längst aufgegeben hatte. Er empfand es nicht als Heuchelei, wenn er Marianne seine »innigst geliebte Frau« nannte. Es entsprach allein der Höflichkeit seiner Zeit und seiner Gesellschaftsschicht, in der die Manieren beurteilt wurden und nicht das, was sie verbargen. Aus den gleichen Beweggründen versicherte er Marianne seiner Sehnsucht und des Wunsches, gesund zu ihr zurückzukehren. Diese tiefen Gefühle hätten ihm geholfen, schrieb er, sich durch den Schnee zu kämpfen, bis er zu einem einsamen Gehöft gelangte, wo er Hilfe für sich und seine Reisebegleiter fand, die hilflos an der Unglücksstelle auf ihn warteten.
Meine innigst geliebte Frau.
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