Das Maedchen am Klavier
Freie strebten und die Begegnung miteinander suchten, würde sich bestimmt ein neues kleines Glück ergeben. Ein »Glückchen« hatte er es schon in seinen Jahren als Hauslehrer genannt, als er noch meinte, auf ihn warte auch noch etwas Größeres, das echte Glück eben, nach dem sich alle Menschen sehnten. Eigentlich glaubte er immer noch daran, doch bis es so weit war, musste man sich eben begnügen. Auch ein Glückchen konnte froh machen, die Liebschaft mit einer verheirateten Frau vielleicht oder mit einer Künstlerin aus dem Theater. So schnell fand man zueinander, wenn die Luft lau war und die Bäume blühten!
Vor Marianne ließ er sich nichts anmerken. Von dem Augenblick an, in dem er das Wieck’sche Haus betrat, war er der unbekümmerte Luftikus, den sie kannte, der hochbegabte Musiker und verständnisvolle Freund, der wusste, dass sie mit Friedrich Wieck nicht glücklich war. Trotzdem fragte er sie nie nach ihrer Ehe. Bei aller Verbundenheit hielt er Abstand, wie es sich gegenüber der Frau seines besten Freundes gehörte.
Auch Marianne hielt ihre Grenzen ein, obwohl sie gern über ihren Kummer gesprochen hätte. In der Nacht lag sie oft noch lange wach und fragte sich, an welcher Kreuzung ihres Lebens sie die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Eigentlich aber wusste sie es ganz genau. Ich hätte diesen Mann niemals heiraten dürfen!, dachte sie.
Ihr Vater hatte sie gewarnt. Friedrich Wieck sei zu alt für sie, hatte er gesagt. Jede Leichtigkeit sei ihm fremd. Im Grunde sei er genau das Gegenteil von ihr. Wahrscheinlich fühle sie sich geschmeichelt, von ihrem eigenen Lehrer verehrt zu werden. Von einem, den sie als Autorität kennengelernt hatte. Der ihr Anweisungen erteilen durfte und ihr nun auf einmal zu Füßen lag. »Die Leidenschaft gibt sich«, hatte der Kantor gesagt. »Was dann nochbleibt, sind die Gemeinsamkeiten. Aus ihnen entsteht die Liebe. Die eheliche Liebe, wohlgemerkt, die ganz anders ist als das, was du im Augenblick empfindest.«
»Aber wir haben Gemeinsamkeiten!«, hatte Marianne gerufen, temperamentvoll, wie es ihre Art war. »Wir lieben beide die Musik. Könnte es ein wundervolleres Bindeglied geben?«
Doch ihr Vater hatte sich nicht überzeugen lassen. »Vielleicht liebt er die Musik«, gab er zu. »Aber er liebt sie ganz anders als du, glaube mir das.«
3
Als die Sonne höher stieg und der Schnee zu schmelzen begann, kam ein Brief, in dem Friedrich Wieck seine Rückkehr ankündigte. »Meine Aufgaben sind mit Erfolg abgeschlossen«, schrieb er in seiner kräftigen, zackigen Schrift. »Ich habe umfangreiche Bestellungen von Klavieren getätigt. Man wird die Instrumente nach meinen Vorgaben bauen und sie noch in diesem Jahr nach Leipzig liefern. Die Kunden werden begeistert sein. Welch ein hervorragendes Geschäft!« Den genauen Zeitpunkt seiner Ankunft könne er nicht nennen, fuhr er fort. Die Straßen seien teilweise noch vereist und wohl auch durch den Frost beschädigt. »Ihr Lieben könnt aber schon einmal mein Bett frisch beziehen und meine Hausschuhe bereitstellen. Bald werde ich bei Euch sein und das führerlose Schiff wieder auf Kurs bringen.«
Marianne zerknüllte den Brief und warf ihn gegen die Wand. Mit seinen Worten hatte Friedrich Wieck genau jenen Zorn in ihr ausgelöst, den sie seit den Streitigkeiten von früher nur zu gut kannte. »Was gibt es denn auf Kurs zu bringen?«, hätte sie ihm am liebsten zugerufen. »Glaubst du, nur du verstehst etwas von Geschäften und vom Unterricht? Unsere Schüler haben bei mir viel mehr gelernt als jemals bei dir. Sie halten sich genauso gerade, und ihre Finger sind ebenso kräftig. Zusätzlich haben sie aber auch noch ein Gefühl für den Zauber der Musik gewonnen. DerUnterricht soll doch keine Drillveranstaltung sein, sondern ein tägliches Fest, das ans Herz rührt. Für dich brauchen die Schüler nur kräftig und geschickt zu sein. Bei mir haben sie begonnen, die Musik zu lieben.«
Sie fing an zu weinen: vor Zorn, weil er nicht da war, um ihre Vorwürfe anzuhören, und vor Verzweiflung, weil bald alles wieder seinen alten Gang gehen würde. Ganz selbstverständlich würde Friedrich Wieck wie zuvor der Herr im Hause sein, der erwartete, dass sein Wille Gesetz war, während sie, die überzeugt war, es besser zu wissen und zu können, sich beugen sollte, am liebsten mit einem spitzenbesetzten Haushäubchen auf dem Kopf. Wenn die Schüler Bach spielten, würde ihr Lehrer Tonleitern von ihnen fordern, und wenn sie nach
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