Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Boot auflas, fast bis in die grauen Wolken hinaufschleuderte und es schließlich wieder auffing, um es dann fast sanft hinfortzutragen, ohne dass es sich bei alledem allzu sehr geneigt hätte, geschweige denn umgestürzt wäre. Froh hatte sich nicht einmal festgehalten. Trotzdem saß er noch immer in seinem Baumboot und konnte kaum glauben, was die Götter ihm nun, als das Meer wieder friedlich vor ihm lag, zuspielten:
Einen Sack voller Fische.
Als der große Leinenbeutel in seine Nähe getrieben war, hatte er versucht, ihm keine Beachtung zu schenken. Er hatte nicht gewusst, was er enthielt, und hätte in passiver Demut abgewartet, bis das Meer ihn wieder verschluckt oder die Wellen ihn wieder hinweggeschwemmt hätten. Doch weder das eine noch das andere war geschehen. Stattdessen war der Sack über die inzwischen wieder ruhigen Fluten auf ihn zugerollt, bis ei nes seiner Paddel dagegengestoßen war und er gerochen ha tte, was er enthielt.
Froh hatte mit den Augen gerollt und ihn an Bord gehievt, wo er ein wenig Platz schuf, indem er den kleinen Fischen, die um sein Boot herumschwärmten, die letzten Innereien des Großen Zahnfischs überließ. Ein Blick in den schweren Sack hatte bestätigt, was seine Nase ihm verraten hatte: Es war ein Sack voller Fische, und sie waren kaum verdorben.
Danke, Ivi …
Froh zwang sich ein Lied ab, das er dem Gott des Meeres widmete, und bemühte sich, dabei freundlich auszusehen.
Aber seine Prüfung war noch lange nicht vorbei.
Als er den nassen Sack wieder verschloss, sah er einen zweiten Sack an sich vorüberziehen – doch dieser trieb nicht an der Oberfläche, sondern in einer guten Armeslänge Tiefe. Außerdem zappelte er auf sackuntypische, sehr menschliche Weise.
Froh schob die Füße unter den schweren nassen Fischsack, um sich halbwegs sicheren Halt zu verschaffen, beugte sich so weit vor, dass er dabei seine breite sonnenverbrannte Nase ins Wasser stippte, und packte den Sack, der in Wirklichkeit ein Mensch war, an einem der wild um sich schlagenden Arme.
Ein Mensch, der nicht schwimmen konnte … Froh hatte nicht gewusst, dass es so etwas überhaupt gab. Selbst Neugeborene konnten schwimmen. Sie wurden im Wasser geboren .
Mit einem kraftvollen Ruck zerrte er den Menschen an die Oberfläche, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass es so leicht sein würde, zumal die lange Zeit auf hoher See seinen Körper erheblich geschwächt hatte. Der federleichte Mensch schoss im hohen Bogen aus den Wellen und landete mit einem dumpfen und zugleich schnalzenden Laut auf ihm, als der Schwung ihn rückwärts ins Boot schleuderte. Mit sanfter Gewalt schob er das Mädchen von sich herunter und drapierte es auf dem Fischsack.
Daran, dass es ein Mädchen war, bestand überhaupt kein Zweifel. Gerade noch hatte sein Kopf zwischen ihren Brüsten geklemmt. Sie hustete und spuckte Salzwasser.
»Du lebst!«, stellte er schwer atmend fest. Dann rutschte er so weit von ihr weg, wie es ihm die Enge des Baumboots eben erlaubte. »Natürlich lebst du …«, presste er stockend hervor. »Du bist … du bist … ein … eine …«
Sie war noch immer völlig außer Atem und zitterte am ganzen Leib. Dennoch bedachte sie ihn mit einem mitfühlenden Blick, während sie antwortete:
» ɞ̙ɜ̃ə̥ɛ˞ ɛ ɤ̀ ɥ̃ɤ̹ɮ̥ɯ́ ʁ̃ʀ̩ɷ̨ ʃ po u̝ɑ˞ ɐ̈ƙ̯ ƞƥ ı̄ .«
Froh legte den Kopf schräg. Eine seiner buschigen Brauen suchte Hilfe am Haaransatz, bekam aber keine.
Einen Moment, in dem sie ihn mit schwer deutbarem Gesichtsausdruck musterte, schwieg die Göttin. Dann wiederholte sie in seiner Sprache: »Ich bin ein Mensch, wie du.«
Froh blinzelte vorsichtig in ihre Richtung. »Aber dein Haar …«, flüsterte er. »Es ist aus Gold. Und deine Augen sind aus … Meer. Du bist eine Unsterbliche. Du bist eine Göttin.«
Das Mädchen verbarg seine Augen aus Meer unter den Lidern und schnitt eine wenig göttliche Grimasse. Eine quälende Weile lang schien sie darüber nachzudenken, wie sie mit ihm umgehen sollte. Wahrscheinlich, dachte Froh, war sie gekommen, um ihn zu Vulka zu bringen, weil er in seiner Gier den ganzen Großen Zahnfisch allein gegessen und den kleinen Fischen, die Ivi gehörten, nur die ungenießbaren Gedärme überlassen hatte. Jetzt suchte sie bestimmt nach Worten, die ihm klarmachten, dass er sein Ziel nicht mehr erreichen würde.
Aber als sie die Lider irgendwann wieder hob, sagte sie: »Ich bin Chita. Sag mir deinen Namen.«
»Dein Haar ist aus Gold«,
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