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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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weist mich eindeutig als Kind der Oberschicht aus«, verteidigte ich meine längliche Kopfform, indem ich mich auf die Worte meines Lehrmeisters Moijo berief. Sora grinste nur, darum setzte ich beleidigt nach: »Du bist doch nur neidisch, weil du mit Mutters Flachbirne gestraft bist. Moijo sagt, der Verstand lagert im Schädel. Und viel Verstand braucht eben viel Platz.«
    »Moijo lügt. Oder zumindest irrt er sich«, widersprach mein Bruder noch immer belustigt. Er griff nach meiner Hand und legte sie auf seine nackte Brust. Im streng abgeriegelten Bereich von Hohenheim war es den Männern erlaubt, nur das Nötigste unter weiten Beinkleidern zu verbergen, wenn das Wetter danach war.
    »Der Verstand«, behauptete Sora, während ich seinen gleichmäßigen Herzschlag in der Handinnenfläche spürte, »ruht ganz genau hier.«
    Für einen halben Schlag, so glaubte ich zu fühlen, setzte sein Herz aus, und Sora schob meine Hand wieder von sich weg. Oder vielleicht spielt meine Erinnerung mir auch nur einen Streich. Manchmal glaubt man, sich an Dinge zu erinnern, die nie geschehen sind, weißt du? Man sucht nach Momenten, in denen man hätte gewarnt sein können, nach Vorzeichen, die es einfach gegeben haben muss , nach etwas, das einem sagt: Du hättest es wissen müssen …
    Wie auch immer.
    »Na, wenigstens ist dein Gaumen nicht gespalten wie der deines Vaters«, fügte Sora in unpassend tröstendem Tonfall hinzu. Ich fand wirklich nicht, dass man mich meiner Kopfform halber trösten musste.
    »Ein gespaltener Gaumen?«, zweifelte ich. »Fällt denn dann nicht der Verstand in den Mund?«
    Du merkst schon: Ich war immer noch überzeugt davon, dass er mir bloß einen Bären aufbinden wollte.
    »Sicher!« Sora brach in schallendes Gelächter aus, was mich sehr ärgerte. »Das erklärt zumindest so einiges«, kicherte er, nachdem er sich wieder ein wenig gefangen hatte. »Bestimmt hat er ihn längst verschluckt!«
    »Du bist respektlos!«, nahm ich Vater in Schutz. »Außerdem widersprichst du dir selbst. Mal sagst du dies, und mal sagst du das, und jetzt hat unser Vater auch noch eine Spalte im Gaumen. Du bist ein Lügner, Sora.«
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust und gab mir Mühe, böse auszusehen.
    Sora beeindruckte das herzlich wenig.
    »Von Lügnern werden wir geboren, zu Lügnern werden wir erzogen«, behauptete er leichthin. »Aber wenn du mir nicht glaubst, dann schau selbst nach. Er schläft mit offenem Mund. Was glaubst du, warum er so seltsam spricht, hm?«
    Zumindest Letzteres entsprach der Wahrheit. Mein Vater hat einen Sprachfehler. Er lispelt ganz entsetzlich. Für öffentliche Reden greift er darum auf die Dienste Milos, seines Redners, zurück. Die Leute halten es für eine leicht dekadente Marotte, aber Milo erfüllt wirklich einen guten Zweck …
    Jetzt war ich doch ein bisschen verunsichert, aber ehe ich noch etwas sagen konnte, wechselte mein Bruder das Thema.
    »Eigentlich bin ich gekommen, um dir etwas zu zeigen, Schwester«, verriet er mir. »Als ich sieben Jahre alt war, habe ich hier nämlich etwas gefunden. Willst du es sehen?«
    Was für eine Frage! Natürlich wollte ich das. Sora ist ein Witzbold, der sich gern auf Kosten anderer amüsiert. Aber er ist auch ein unwahrscheinlich neugieriger Mensch, der seine Nase überall hineinsteckt. Wenn er nicht gerade herumschnüffelt, experimentiert er zudem mit irgendwelchen Dingen, oder er heckt derben Unsinn aus. Hatte er etwas Besonderes herausgefunden, bediente er sich auf jeden Fall dieses ganz besonderen Lächelns, das auch in diesem Moment auf seine Züge trat. Aufregung erfasste mich. Mein Ärger war wie weggeblasen.
    »Was ist es?«, verlangte ich zu wissen, sprang auf und untersuchte den Strand und die Klippen mit aufgeregten Blicken. »Ein versunkener Schatz? Eine seltene Lebensform? Eine neue Idee?«
    »Freiheit«, antwortete Sora geheimnisvoll und erhob sich ebenfalls. »Und damit meine ich nicht dein Pferd.«

3
    S o wie du redest, gewinnt man den Eindruck, du wärst in Gefangenschaft aufgewachsen«, bemerkte Froh und verstaute seine Paddel sorgfältig zu beiden Seiten in dem winzigen Boot, das eigentlich nicht für zwei Personen gemacht war. Inzwischen war die Sonne am Horizont fast zur Hälfte im Meer versunken, wie glühendes Metall, das ein Schmuck- oder Werkzeugmacher in ein Wasserbad tauchte. So wärmte sie die See, in der Ivi nachts badete. »Der Name deines Reittiers, das Geheimnis deines Bruders …«, zählte er auf –

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