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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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ein bisschen beschämte. Aber meine Neugier wog schwerer als die neuerliche Unsicherheit und die Scham. Also ließ ich die Hüllen ebenfalls fallen.
    Sora nahm meine Hand, spitzelte unter dem Vorsprung hervor, passte einen Moment ab, in dem der uns zugerichtete Wächter den Fernschauer sinken ließ, und sprintete zum Strand. An dieser Stelle war das Wasser nicht seicht; der Strand fiel steil ab. Binnen zweier Lidschläge hatten uns die Fluten verschluckt – mich eher unfreiwillig, denn Sora hielt noch immer meine Hand, tauchte sogar ein, zwei Züge weit, ohne sie loszulassen, und zog mich auf diese Weise einfach mit. Immer tiefer unter Wasser und schnurgerade am Riff entlang, bis er plötzlich einfach verschwand.
    Einen kurzen Moment drohte ich in Panik zu geraten, aber dann sah ich ihn zu meiner Linken. Nur seine Füße ragten noch aus dem Riff heraus, das an dieser Stelle eine Lücke hatte, gerade groß genug, dass sich ein Kind hindurchquetschen konnte. Auf die andere Seite – in die Freiheit.
    Ich folgte Sora, sobald auch seine Füße gänzlich im Spalt verschwunden waren, und tauchte gleich nach ihm auf der anderen Seite des Riffs wieder auf.
    »Bei Sirrah …!«, keuchte ich, als ich durch die Wasseroberfläche brach, aber mein Bruder hielt mir den Mund zu und zog mich so dicht an das Riff, dass das Korallengestein mir den Rücken zerkratzte.
    Sirrah?
    Der Stern, der damals genau über Hohenheim stand und uns auch heute Nacht den Weg weisen wird.
    »Siehst du den Baum da vorne?«, zischte Sora und wies an den Strand. Die Enden seiner Äste reichten bis ins Wasser hinab und waren dicht belaubt. Ich nickte. »Dorthin tauchen wir«, erklärte Sora und war verschwunden, ehe ich ihn darauf hinweisen konnte, dass ich eine erbärmlich schlechte Schwimmerin und eine noch weniger ausdauernde Taucherin war. Das war ich wirklich. Ich glaube, ich habe erst heute richtig schwimmen gelernt …
    Na ja …
    Aber was sollte ich machen? Zurücktauchen, allein nach Hohenheim hinaufgehen und meinen Bruder verraten? Niemals! Außerdem ahnte ich, dass dieses bisschen Freiheit, also die andere Seite des Riffs und die Weide mit den tiefhängenden Zweigen, längst nicht alles war, was er mir zeigen wollte, und obwohl ich mich fürchtete, brannte ich innerlich vor Neugier. Ich tat, wie mir geheißen, und tauchte ein zweites Mal und umso schlimmer hustend und Wasser spuckend wieder neben ihm auf.
    Das Geäst bildete einen grünen Vorhang, der uns vor unerwünschten Blicken schützte, und Sora erlaubte mir, ein wenig zu Atem zu kommen, ehe wir unsere Odyssee am Strand entlang fortsetzten.
    Er musste diesen Weg oft zurückgelegt haben, denn er kannte jeden Felsvorsprung, jedes knorrige Wurzelwerk und jeden Strauch, der uns in unregelmäßigen Abständen kurz Schutz bot. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber ich war keine gute …
    Hast du.
    Bald war ich völlig aus der Puste. Als wir die letzte Etappe in Angriff nahmen, nahm ich mir fest vor, mich beim nächsten Halt zu verweigern, denn ich fürchtete, er wollte einmal um die ganze Welt tauchen. Aber als ich das nächste Mal japsend um Atem rang, hatten wir sein Ziel erreicht. Und ich muss sagen: Die Mühen hatten sich wirklich gelohnt.
    Was habt ihr gefunden?
    Ein weiteres Riff. Aber dieses war ein ganz besonderes. Es trennte das Meer von einem seichten Süßwasserstrom, der durch das rot, weiß, orange und violett leuchtende Korallengestein ins Meer gluckerte. Sora grinste stolz und bedeutete mir, ganz still zu sein, aber das war nicht nötig, denn ich hatte es schon vernommen und staunte, wie ich zuletzt beim ersten Anblick eines startenden Manas gestaunt hatte: Eine leise Melodie ertönte aus dem Riff. Eine ewige Melodie, die nie verstummte. Warme und dunkle Klänge, die dennoch unendlich leicht schienen, drangen in meine Ohren, und ich sah von Sora zu dem Riff und wieder zurück und fragte: »Wer musiziert in diesem Riff?«
    Sora lachte. »Niemand!«, antwortete er vergnügt. »Es ist nur das süße Wasser, das die Luft durch das Riff drückt. Es funktioniert wie eine riesige Flöte. Hübsch, nicht wahr?«
    Ich nickte ehrfurchtsvoll. Hübsch war mächtig untertrieben. Dieses Gebilde war so eindrucksvoll, dass ich mir fast gewünscht hätte, er hätte nicht ganz nüchtern von Wasser und Luft gesprochen, um mir die Dinge zu erklären, sondern von einem Gott oder einer Göttin oder wenigstens irgendeinem magischen Prozess, denn genauso wirkten diese Klänge auf mich: wie

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