Das Mädchen aus Mantua
frischgebackene Doktor unter dem Beifall des Publikums abtreten und dem nächsten Platz machen.
Nun kam Timoteo an die Reihe. Blass und ernst sah er aus, aber auch stolz, als er hoch erhobenen Hauptes auf das Podium stieg und die ihm gebührenden Insignien entgegennahm.
Galeazzo wurde die Brust weit, als er den Freund dort stehen sah. Bald würde er selbst Hut, Ring und Urkunde in Empfang nehmen! Er wäre ein leibhaftiger Arzt, berechtigt, die Kranken zu behandeln und sein Wissen als Lehrer weiterzugeben!
Ein Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit ab. »Pacis osculum cum benedictione magistrali«, tönte es vom Podium, doch Galeazzo blickte nicht mehr dorthin, sondern sah zur Tür, durch die sich soeben ein unliebsamer Besucher hereinstahl.
Baldo! Der Kerl war wie Falschgeld, er tauchte immer dann auf, wenn man nicht mit ihm rechnete, und stets gab es seinetwegen Ärger! Und solcher stand auch jetzt ins Haus, das sah man seiner Miene schon auf den ersten Blick an. Er musste von irgendwem gehört haben, dass Timoteo heute promoviert wurde, und gewiss würde er diese Gelegenheit nutzen, um Ärger zu machen.
In flegelhafter Haltung blieb er neben den Stuhlreihen stehen und äugte frech in die Runde, als ihm plötzlich die Kinnlade herabfiel. Ungläubig tat er ein paar Schritte nach vorn, starrte, dann verzerrte sich sein Gesicht in heller Wut.
Verdammt, dachte Galeazzo. Celestina hatte keinen Schleier angelegt!
»Betrug!«, brüllte Baldo, während er vorwärtspreschte.
Timoteo, der soeben mit seinen Insignien vom Podium herabstieg, blieb wie angewurzelt stehen. Galeazzo lockerte vorsorglich den Gurt seines Degens und prüfte, ob er sich leicht ziehen ließ. Aus den Augenwinkeln sah er, wie William dasselbe tat. Hieronimo war von seinem Platz aufgestanden. Unruhe entstand unter den Zuschauern, als Baldo sich durch die Reihen zwängte, Celestina unter den erschreckten Aufschreien ihrer Mutter packte und sie auf die freie Fläche vor dem Podium zerrte.
Timoteo, Hieronimo, Galeazzo und William stürmten sofort mit gezückten Waffen auf ihn los, doch Baldo zog ebenfalls blank und hielt die Degenspitze unter Celestinas Kinn. Sofort blieben die Männer zurück.
»Dieser Mann ist eine Frau!«, schrie Baldo empört. »Seht ihr das nicht?« Er glotzte Celestina an. »Ich meine natürlich umgekehrt. Diese Frau ist ein Mann. Oder vielmehr, sie war es. Jetzt ist sie wieder eine Frau!« Er riss ihr das Gewand auf. »Schaut her! Sie hat Brüste!«
Ein allgemeiner Aufschrei erhob sich. Stimmen schallten durcheinander.
»Er ist verrückt geworden!«
»Seht nur, er will das arme Mädchen schänden!«
»Nein, er will sie töten, weil er denkt, sie sei ein Mann!«
»Wie kommt er auf diesen wahnsinnigen Gedanken?«
»Jemand muss die Wachen rufen!«
Celestina raffte notdürftig ihr Kleid vor der Brust zusammen, während Baldo sie festhielt und schüttelte. Timoteo trat vor. Sorgfältig legte er Hut und Mappe ab und ging mit gerecktem Degen in Kampfstellung.
»Bist du so ein feiger Hund, dass du dich hinter einem Mädchen verschanzt?«, fragte er freundlich.
Mit einem erzürnten Aufschrei stieß Baldo Celestina von sich. Sie fiel auf die Knie und kroch seitlich von ihm weg, während Timoteo vorwärtssprang.
Im nächsten Moment waren die beiden Männer in ein wildes Duell verstrickt. Die Klingen prallten aufeinander, Stahl sprühte Funken, als Hieb um Hieb und Stoß um Stoß ausgetauscht und pariert wurde.
Galeazzo und William hielten sich bereit, aber sie konnten nicht eingreifen, solange dieser Zweikampf sauber geführt wurde. Baldo war ein ernst zu nehmender Gegner, doch er war Timoteos Erfahrungen im Feld nicht gewachsen. Dessen Degen bohrte sich glatt durch Baldos Oberarm, und mit schmerzvollem Aufheulen ließ er seine Waffe fallen und taumelte zurück.
Timoteo schob seinen Degen zurück in die Scheide, half Celestina beim Aufstehen und nahm dann die Insignien seiner Doktorwürde wieder an sich.
Lähmendes Schweigen herrschte im Saal, kaum jemand rührte sich, bis Baldo mit überkippender Stimme schrie: »Das war ein Verstoß gegen die Bestimmung von Ratsherr Gradenigo! Dieser Caliari da hat öffentlich gekämpft! Und mich verwundet! Er muss verbannt werden! Alle Caliari müssen verbannt werden!«
Aufgeregte Schreie erhoben sich, darunter nicht wenige Protestrufe, es entbrannte Streit darüber, ob diese Behauptung zutreffe, und schon herrschte allenthalben Tumult. Wütende Beleidigungen wurden hin und her
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