Das Mädchen aus Mantua
vermisst!«, sagte er beschwörend.
» Sie hat es vermisst«, gab Celestina zurück. Mit zitternder Hand zeigte sie auf die tote Frau. »Ich selbst habe es mit auf die Welt geholt, und Ihr habt es in ein Glas gesteckt und mit Weingeist konserviert wie … wie eine beliebige Innerei!«
Und nun sah sie auch, dass es weitere Gläser gab.
Solche mit Neugeborenen, die scheußliche Fehlbildungen aufwiesen, ein zweites Paar Arme, grausig verwachsene Gesichter, einen Fuß mitten auf der Stirn. Ein Fötus ohne Gliedmaßen. Ein Glas mit einem vollständigen menschlichen Kopf, dicht unter dem Kinn abgetrennt, das Gesicht schwarz und verzerrt. Sie schnappte nach Luft. Ignis Sacer, durchfuhr es sie.
Auf einem der Regalbretter lag ein Schädel, an dem vereinzelt noch Gewebefetzen hingen. Über dem Schläfenbein befand sich ein Bruch, kaum verheilt, mit charakteristischen Umrissen, die sie noch unter ihren Fingerspitzen zu fühlen glaubte. Als sie das winzige Loch des Trepanationsbohrers sah, wusste sie, dass es sich um den Schädel des Patienten mit dem Impressionsbruch handelte.
Menschen, die niemand vermisste, die fremd und allein in dieser Stadt gestorben waren.
»Ihr seid zu weit gegangen«, flüsterte sie.
»Und, was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte er. »Mich bloßstellen? All das hier beenden?«
In ihren Augen konnte er lesen, dass sie genau das vorhatte, und dass sie sich auch nicht durch Erpressung davon abhalten lassen würde. Sie konnte ihn nicht gewähren lassen, auch nicht um den Preis, für ihren eigenen Betrug büßen zu müssen.
Er schüttelte traurig den Kopf und nahm ein Instrument von dem Tablett, ein scharf geschliffenes Ausbeinmesser, in dem sich schimmernd das Licht der Öllampe fing. Es klebte noch Blut von der toten Frau daran.
»Es tut mir so leid, Celestina«, sagte er leise.
Hinter ihm drehte sich ein Schlüssel im Schloss, und die Tür schwang auf. Schwester Deodata kam ins Zimmer geeilt. »Ich sah oben …« Ihr Blick fiel über die Schulter des Mönchs auf Celestina. »Oh«, sagte sie. »Sie ist schon hier drinnen.«
Dann sah sie das Messer. »Nicht, Silvano«, sagte sie hilflos. »Tu das bitte nicht!«
»Mir bleibt keine andere Wahl. Sie will alles verraten.«
»Aber das wäre Mord!«
»Was war es denn bei den anderen, den angeblichen Selbstmördern?« Celestina wich hinter den Sektionstisch zurück, als Silvano näher kam.
»Sie waren samt und sonders lebensmüde und wollten sterben. Ich habe ihnen nur geholfen.«
»Das stimmt!«, beteuerte die Nonne. Sie rang die Hände und blickte Celestina flehend an. »Sie bekamen das Pulver mit auf den Weg, und sie alle haben es noch in der Herberge genommen. Die meisten wussten sogar, dass sie davon sterben würden!«
»Was nur bedeutet, dass einige es nicht wussten«, sagte Celestina. »Und ich wette, der Wanderarzt wusste auch nicht, wie ihm geschah, als jemand auf seinem Rücken kniete und ihn erdrosselte.«
Sie eilte auf die andere Seite des Sektionstischs, um Silvano auszuweichen, der mit dem Messer nach ihr hieb.
»Silvano?«, fragte die Nonne unsicher. »Das stimmt doch nicht, oder? Er ist fortgelaufen und hat sich aufgehängt, das hast du selbst gesagt!«
» Er hat ihn aufgehängt«, rief Celestina. Sie rannte um den Tisch herum, verfolgt von dem wütenden Mönch. »Weil er hier unten zu viel gesehen hat!«
Der Aufschrei des Mönchs zeigte, dass ihre Vermutung zutraf. Er versuchte, über den Leichnam hinweg mit dem Messer nach ihr zu stoßen, sie entging der Schneide nur um Haaresbreite.
Die Nonne schrie ebenfalls auf, jedoch vor Verzweiflung. Sie sprang vor und warf sich Silvano in den Weg. Mit beiden Händen ergriff sie seinen Arm, während er sie wegstieß. Dabei prallte er gegen den Tisch, auf dem die Schalen mit den Innereien standen. Scheppernd landeten sie auf dem Boden, der Inhalt verteilte sich platschend zu seinen Füßen. Celestina konnte später nicht mehr sagen, worauf er ausgerutscht war, aber sie meinte, es sei das Herz gewesen. Der heftige Fluch, mit dem er fiel, riss abrupt ab, als er landete. Danach lag er reglos und still, bäuchlings ausgestreckt zwischen triefenden Organen.
»Silvano?« Die Nonne, die ebenfalls hingefallen war, rappelte sich auf die Knie und kroch zu ihm. Als sie ihn auf den Rücken drehte, stieß sie einen entsetzten Schrei aus. Der Mönch war in das Messer gefallen, es war zwischen den Rippen eingedrungen und hatte die Lungenarterie zerfetzt. Celestina wusste dank seiner Unterstützung
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