Das Mädchen aus Mantua
Schließlich meinte Celestina: »Bei all deinen Plänen hast du wohl nicht daran gedacht, dass ich nichts zum Anziehen habe, oder?«
»Nur bis morgen«, sagte er. »Arcangela und deine Mutter werden sicher deine gesamte Habe mit nach Venedig bringen, wenn sie morgen früh aus Padua abreisen. Du kannst dann einfach alles im Haus deiner Mutter abholen, bevor wir weiterreisen.«
»Aber … dürfen wir uns denn dort blicken lassen? Du bist doch jetzt … verbannt, oder nicht?«
»So schnell geht das nicht. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass Gradenigo davon absieht. Es gibt genug Zeugen dafür, dass ich nur kämpfte, um ein wehrloses Mädchen zu schützen, sowie auch dafür, dass ich mich an der nachfolgenden Schlägerei nicht beteiligte, ebenso wenig wie mein Bruder. Und dann ist da noch ein entscheidender Punkt, der eine Verbannung unmöglich macht.«
»Und welcher wäre das?«
Er küsste von hinten ihr Ohr und schlang die Arme fester um sie. »Eine Caliari ist mit einem Bertolucci durchgebrannt – Brodata und Gentile. Und eine Bertolucci mit einem Caliari – du und ich. Welchen Beweis sollte Gradenigo denn noch dafür brauchen, dass zwischen den Familien Frieden eingekehrt ist?«
Venedig, zwei Tage später
Zwei Tage später bestiegen sie an der Riva degli Schiavoni in Venedig eine Galeone, die sie nach Lissabon bringen sollte. Dort wollten sie weitersehen.
Sie luden ihr Gepäck in der schmucklosen kleinen Kabine auf dem Achterkastell ab und warteten dann gemeinsam mit den übrigen Passagieren draußen an Deck, bis der Anker gelichtet wurde.
»Eigentlich müssten wir gar nicht fort«, sagte Celestina, während sie den gebrüllten Kommandos des Kapitäns und dem Knattern der Segel lauschte, die von den Matrosen gehisst wurden. Inzwischen hatten sie erfahren, dass Timoteo richtig vermutet hatte – Gradenigo hatte eine Verbannung abgelehnt, stattdessen war Baldo wegen bewaffneten Aufruhrs von der Universität verwiesen worden.
»Rein theoretisch könnten wir einfach hierbleiben«, schloss sie nachdenklich. »Niemand zwingt uns fortzugehen. Warum tun wir es trotzdem?«
Ein eisiger, scharfer Wind fuhr ihr ins Gesicht, wie um ihr klarzumachen, dass es auch andere Gründe für einen Aufbruch ins Unbekannte gab als Zwang. Sie lachte, denn sie hatte nicht vergessen, warum sie vor einem halben Jahr nach Padua gekommen war. »In London soll es eine fabelhafte Universität geben«, sagte sie.
Er lachte ebenfalls, denn es war ein Scherz gewesen, doch ein kleiner Teil davon war ernst. Sie wusste genau, dass sie es geschafft hätte, denn sie hatte das Zeug dazu, mindestens so sehr wie der Mann an ihrer Seite, der seit dem Vortag ihr Ehemann war. Sie wäre eine gute Ärztin. Bei dem Gedanken hob sie trotzig das Kinn. Sie war eine gute Ärztin. Das, was sie von Timoteo und anderen Doktoren unterschied, stand nur auf dem Papier.
»Man ist immer das, was man sein will«, sagte sie laut.
Timoteo fragte nicht, was sie damit meinte, denn er hatte sie verstanden. Seine Arme fest um sie gelegt, drehte er sie so, dass sie aufs Meer hinausschauen konnte, wo sich die Wellen schäumend türmten und ihr Rauschen das Brausen des Windes untermalte. Das Schiff legte ab, und mit majestätischer Langsamkeit entfernte es sich vom Kai, um sie in die Fremde zu bringen, wo sie niemanden haben würden als einander. Doch es gab keinen Grund, sich zu fürchten, denn das war mehr als genug.
Ende
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