Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Veränderungen, die er als junger Mann an Haus und Hof vorgenommen hatte. Die Arbeit auf dem Hof war ihm schon immer lieber gewesen, als für die Schule zu lernen, und so hatte er den Büchern mit dreizehn Lebewohl gesagt. Seine Familie genoss im Dorf nicht den besten Ruf, und er hatte im Lauf der späteren Sechzigerjahre viel Mühe daran gesetzt, das zu ändern. Vergebens. Seine ganze Jugend hatte er dem Versuch gewidmet, sich einen Hof und einen guten Ruf aufzubauen, der schneller wieder ruiniert war als ein Feuer sich durch einen Heuschober frisst. Er konnte sich selbst schon kaum mehr daran erinnern, wie er damals gewesen war - jung, voller Kraft und voller Hoffnung. Jetzt verbrachte er seine Tage damit, seinen Alkoholkonsum vor seiner mittlerweile ständig nörgelnden Schwester und dem Knecht zu verbergen, der zwar nichts sagte, aber sehr wohl bemerkt hatte, dass sein Arbeitgeber trank. Während der vergangenen zehn Jahre war es ihnen gelungen, eine Art Scheinnormalität zu wahren: Seán arbeitete auf dem Hof, so gut er konnte, damit wenigstens ein bisschen Geld hereinkam. Kate besorgte übellaunig den Haushalt und kümmerte sich um Ben, der nie ein Mann werden und noch lange nach ihrem Tod auf Pflege
angewiesen sein würde. Trotzdem waren sie immer irgendwie über die Runden gekommen. Und ausgerechnet jetzt, wo es so aussah, als bekämen sie wieder Boden unter die Füße und könnten Vergangenes vergessen sein lassen, erhob die Vergangenheit in Gestalt ihrer kleinen Schwester wieder ihr hässliches Haupt. Im Dorf würde man die alte Geschichte wieder ausgraben, und das ganze Gerede ginge von vorne los. Wenn sie sie doch bloß nicht zurücknehmen müssten. Wenn die Anstalt sie doch bloß behalten würde oder sie in der Lage wäre, in Dublin oder in einer betreuten Wohngemeinschaft ihr eigenes Leben zu führen. Er hatte ja versucht, diesen aufdringlichen Psychiater abzuwimmeln, hatte die Briefe mit den Berichten über ihre Entwicklung in den Papierkorb geworfen, hatte sie nie besucht. Das hätten die dort doch kapieren müssen. Aber nein. Er konnte ja schlecht sagen: »Wir wollen sie nicht wiederhaben.« Das hätte einen schlechten Eindruck gemacht, und die Leute hätten erst recht angefangen, sich das Maul zu zerreißen.
Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, und wusste selbst nicht genau, ob aus Wut oder Scham, als Kate seine Gedanken unterbrach.
»Es nützt alles nichts, wir müssen das Beste draus machen. Vielleicht hat sie sich ja verändert, ist ein bisschen ruhiger geworden. Sie war ja noch ein Kind, musst du bedenken. Womöglich kann sie uns sogar mit dem Jungen zur Hand gehen. Weiß Gott, wahrscheinlich versteht sie ihn besser als ich.«
Kate wusste immer ganz genau, was er dachte, ja, sogar, was er fühlte. Kate war ihm immer einen Schritt voraus, kühl und berechnend und klüger, viel klüger. Seán betrachtete seine Schwester. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, in sich ruhend und wunderschön. Ihm war immer bewusst gewesen, wie stark er sich äußerlich von seinen Geschwistern und Eltern unterschied. Er war der einzige Rotschopf in einer schwarzhaarigen
Familie. Er hatte grüne Augen und Sommersprossen, seine Geschwister dagegen blaue Augen und helle, weiße Haut, die weder rot noch braun wurde. Er beneidete Kate um ihre Gelassenheit. Seine Schwester hätte viel mehr Grund gehabt als er, Tess’ Rückkehr zu bedauern - sie war zum Zeitpunkt des »Unfalls«, wie sie es zu nennen pflegten, verlobt gewesen. Damals war Kate noch eine ganz andere Frau, allseits beliebt und kurz davor, den ältesten Sohn der Moores zu heiraten, der einmal einen großen Hof und dazu noch einen Batzen Geld erben würde. Aber es war mehr als das. Sie hatte Noel Moore geliebt. Seine Familie war anfangs nicht besonders glücklich über diese Verbindung, aber Kate hatte sie schon bald auf ihre Seite gezogen, sogar Noels Mutter, für deren Ältesten keine gut genug sein konnte. Kate hatte eine strahlende und glückliche Zukunft vor Augen gehabt, doch hinter den Kulissen hatte Tess gelauert und alles zerstört.
Beklommen hockte Dermot auf dem Fahrersitz des verbeulten Lieferwagens und warf Tess ein unsicheres Lächeln zu. Sie machte nicht gerade einen gefährlichen Eindruck. Sie war klein und sah, genau wie ihre große Schwester, nicht übel aus. Wie eine jüngere Ausgabe von Kate, das lange Haar so schwarz, dass ihre weiße Haut noch bleicher wirkte. Es fiel ihm auf, dass sie ihn nicht ansah, wenn er sprach, und
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