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Das Mädchen: Roman (German Edition)

Das Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Klüssendorf
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sie schwenkt das Tuch wie eine Fahne. Dann jagen sie einander durchs Zimmer, lachen lauthals und kreischen. Sie findet sich damit ab, dass sie ohne das Sternentuch nach Hause gehen wird. Als Katrins Mutter die Tür öffnet, liegen sie mit erhitzten Gesichtern auf dem Fußboden und imitieren Tierstimmen, sie heult laut wie ein Wolf. Katrins Mutter betrachtet sie missbilligend und gibt ihrer Tochter zu verstehen, dass es Zeit ist, den Besuch nach Hause zu schicken. Katrin gehorcht sofort und bringt sie zur Tür.
    Nachdem sie ihren Bruder vom Kindergarten abgeholt hat, will sie noch etwas herausschinden aus diesem Tag. Sie beschließt, die Reaktionsschnelligkeit der Autofahrer zu testen – ihr Lieblingsspiel, das sie sich selbst ausgedacht hat. Sie steht am Bordstein, und kurz bevor ein Auto sich auf ihrer Höhe befindet, rennt sie blitzschnell über die Straße. Bislang hat sich Alex geweigert, mitzuspielen, doch heute folgt er ihrem Beispiel und rast wie sie über die Straße, die Bremsen quietschen, und ihre Herzen hämmern.

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    Sie sollen ihre Mutter in die Poliklinik begleiten. Die Mutter trägt ein schulterloses königsblaues Kleid, auch ihr Lidschatten ist königsblau, sie hat sich zurechtgemacht, sogar ihre Fußnägel sind lackiert, und an ihrem linken Knöchel blinkt ein silbernes Kettchen. Während Alex und sie im Warteraum bleiben, dringt die Stimme der Mutter aus dem Sprechzimmer, durchschlägt die Wand. Alex macht eine heftige Handbewegung, dann sitzt er nur noch erstarrt neben ihr. Als eine Krankenschwester die Tür öffnet, sind tränenerstickte Laute zu hören, dann bittende, schmeichelnde Worte: Der Doktor solle eine Ausnahme machen, sie habe schon zwei Kinder, und es komme doch nicht darauf an, ob sie im dritten oder vierten Monat sei. Nun ist die Stimme des Arztes deutlich zu hören, das wäre keine Lösung, sondern Mord, sagt er streng, und dieser Satz hinterlässt bei ihr einen tiefen Eindruck.
    Auf dem Weg nach Hause können sie der Mutter kaum folgen, trotz ihrer hohen Absätze ist sie ihnen immer einen Schritt voraus.
    Es ist längst dunkel, doch sie kann nicht einschlafen. Ist die Mutter schwanger? Sie vermag sich kaum an ihren Vater zu erinnern. Aus den Andeutungen der Mutter hat sie sich zusammengereimt, dass er im Gefängnis sitzt. Aber wer ist der Vater des Kindes im Bauch der Mutter?
    Lange Zeit hat sie sich Sexualität so vorgestellt: Ein Mann steht nackt in einer Toilettenkabine, daneben steht, durch eine dünne Wand getrennt, eine nackte Frau. Der Samen wird vom Mann ausgestoßen, gleitet dann geschwind seine Beine hinunter auf den Boden, von da aus in die Nebenkabine, die Beine der Frau hinauf und dann in sie hinein. Die Frau und der Mann bewegen sich dabei überhaupt nicht und sprechen auch kein Wort. Inzwischen aber glaubt sie Bescheid zu wissen: Der Mann steckt der Frau sein Ding rein.
    In den nächsten Tagen geht die Mutter nicht zur Arbeit. Sie raucht, trinkt, rauft sich die Haare, springt die Stufen im Treppenhaus mit großer Wucht herunter und wieder hoch. Sie sitzt stundenlang in der gelben Plastikwanne, geht selbst in die Kneipe und schleppt schwere Netze voller Bierflaschen nach Hause. Sie führt laut Selbstgespräche oder redet auf ihre Tochter ein, als wäre sie ihre Vertraute. Sie versucht zu lächeln, wenn die Mutter sie »mein gutes Pferdchen« nennt, innerlich stößt sie jedoch ein höhnisches Wiehern aus. Wenn die Mutter weinend im Sessel sitzt, steht sie neben ihr und flüstert tröstende Worte, obwohl ihr Herz längst erkaltet ist; sie weiß, dass die Mutter blitzschnell wieder ganz anders sein kann, also ist sie vorbereitet.
    Nachts weckt sie ein Stöhnen. Sie schleicht über den Flur, sieht durch den Türspalt die Mutter auf dem Küchenboden in einer Blutlache sitzen. Sie begreift zuerst nicht, was die Mutter da macht, mit einer Stricknadel stößt sie sich zwischen die geöffneten Schenkel. Um dieses Muttergesicht auszublenden, starrt sie auf die bunten Teller über ihr an der Wand. Sie atmet aus und hat das Gefühl zu schrumpfen. Sie möchte mit dem Bild, das sich in ihr festsetzt, nichts zu tun haben. Sie wünscht sich eine andere Mutter. Seit Langem denkt sie, dass sie bei ihrer Geburt vertauscht wurde. Aber dieser Gedanke nützt ihr nichts. In der Nacht träumt sie von einem Monster, das sie töten will, und als sie endlich das Fenster öffnen kann und laut nach Hilfe ruft, setzt ein lärmender Sturm ein und verschluckt ihre Schreie.
    Am

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