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Das Mädchen: Roman (German Edition)

Das Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Klüssendorf
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hat es wohl die Sprache verschlagen, faucht die Mutter Alex an. Er hockt vor dem Bett, atmet durch einen alten Schnorchel und bewegt dabei den Oberkörper hin und her. Nimm das Ding aus dem Mund, sagt die Mutter und schlägt mit der Faust gegen die Wand. Ihr Bruder presst die Augen zusammen. Sie kennt dieses Gefühl: Er möchte unsichtbar sein. Sie betrachtet die Szene wie von weit weg, und obwohl sie Mitleid mit ihm hat, überwiegt doch die Erleichterung, dass diesmal das Zorngewitter nicht sie trifft.
    Als sie in der Nacht aufwacht, sieht sie Alex am Fenster stehen. Sie ruft ihn, doch er reagiert nicht. Er starrt aus dem Fenster, ohne sie zu beachten. Als sie ihn am Ellbogen packt, stößt er einen Schrei aus. Sie hält ihm den Mund zu. Sei still, sagt sie, sonst wacht die Alte auf. Sei still, wiederholt sie und zieht ihren Bruder hinter sich her. Er folgt ihr, setzt sich auf die Bettkante, sein Gesicht ist bleich. Nachdem sie eine Weile auf ihn eingeredet hat, legt er sich hin. Sie schmiegt sich an ihn und horcht auf seine Atemzüge.
    Die Mutter lacht, als sie ihr davon erzählt. Das hätte ich gern gesehen, sagt sie, so was Komisches. Sie betrachtet ihren Sohn erstaunt. Ein Mondsüchtiger, sagt die Mutter, ein echter Mondsüchtiger, und fährt ihm durch die Locken.
    Sie hat sich für Mitternacht den Wecker gestellt. Aber diesmal steht Alex nicht am Fenster, er schläft tief und fest in seinem Bett. Sie setzt sich zu ihm, streicht über seinen Rücken. Sie erwartet etwas von dieser Nacht, spürt Unruhe in ihren Gliedern. Sie versucht ihren Bruder wachzurütteln.
    Steh auf, sagt sie, du musst aufstehen. Als er endlich die Augen öffnet, sagt sie mit verstellter Stimme: Der Mond wartet auf dich. Du sollst zu ihm kommen.
    Aber Alex versteht gar nichts. Er reibt sich die Augen, was ist denn, murmelt er, lass mich in Ruhe. Sie zwickt ihn leicht in den Arm. Du träumst, sagt sie, du bist in einem Traum. Sie streicht ihm eine Locke aus der Stirn und flüstert: Erhebe dich. Alex verschluckt sich beim Luftholen und schüttelt den Kopf.
    Aufstehen, sagt sie und schnalzt mit der Zunge gegen den Gaumen.
    Als er vor ihr steht, weiß sie selbst nicht, was sie von ihm will. Geh zum Fenster, sagt sie.
    Alex stellt sich ans Fenster.
    Sie betrachtet den Himmel. Kein Mond da heute, sagt sie. Von draußen ist das Quietschen der Straßenbahn zu hören. Sie fröstelt, und dann fällt ihr Blick auf den Nachttopf des Bruders. Sie denkt kurz nach. Dein Unterhemd ist schmutzig, sagt sie.
    Er weigert sich, das Hemd in dem halb vollen Nachttopf zu waschen. Das ist Pisse, sagt er und schaut sie voller Ekel an.
    Es passiert nicht in echt, ist nur ein Traum, sagt sie und versucht überzeugend zu klingen.
    Er wendet seinen Kopf ab und hustet laut, während er das Unterhemd in den Nachttopf taucht. Zwischen zwei Atemstößen wringt er das Hemd aus und legt es ausgebreitet auf den Boden.
    Es sieht sauberer aus, sagt sie anerkennend.
    Alex taumelt müde ins Bett. Sie wartet, bis er eingeschlafen ist. Dann nimmt sie seinen Arm, der über die Bettkante hängt, und legt ihn aufs Laken.
    Am nächsten Tag kann sie es kaum erwarten, der Mutter davon zu berichten. Die tut zuerst so, als habe sie nicht verstanden. Er hat was?
    Sie erzählt die Geschichte noch einmal, erfindet verrückte Details. Er ist wieder schlafgewandelt, sagt sie, er hat die Arme ausgebreitet wie ein Vogel seine Flügel.
    Die Mutter schnippt einen Krümel von ihrer Bluse. Dann ruft sie laut nach Alex. Du verdammter Bettnässer, sagt sie zu ihm, komm mir nicht mehr unter die Augen.

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    6
    Sie hat sich schon lange in der Bücherei angemeldet; atemlos verschlingt sie Der Graf von Monte Christo . Sie möchte dieses Buch selbst besitzen, deshalb schreibt sie Kapitel für Kapitel in ein Heft ab. Sie schwört Rache für ihren Helden Edmond Dantès, der so schmählich um Liebe und Jugend betrogen wurde. Wäre sie Mercedes, die Braut des jungen Mannes, gewesen, niemals hätte sie sich von den heimtückischen Schurken täuschen lassen.
    Aber noch kann sie ihre Bereitschaft zur Liebe nicht unter Beweis stellen. Kein Junge beachtet sie, und in der Klasse gibt es nur einen, der ihr gefällt. Uwe hat lange, dunkle Wimpern, seine Nase steht etwas schräg, in seiner Freizeit, so heißt es, macht er Judo. Er erscheint ihr auf eine kühne Art attraktiv. Doch Uwe ist längst an eine langhaarige Blonde vergeben. Einmal legt sie ihm heimlich ein Bonbon auf seinen Platz und beobachtet, wie er

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