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Das Mädchen: Roman (German Edition)

Das Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Klüssendorf
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weil er die Norm gebrochen und die Kumpels verraten hat; wenn es einen kräftigen Regen gibt, sagen die Erwachsenen, es gießt wie Hennecke.
    Die knallrote Schürze nimmt sie wieder mit nach Hause und schneidert daraus Kleider für ihre Puppen.
    Die Mutter erlaubt ihr nur selten, nach der Schule auf die Straße zu gehen, und noch nie durfte sie Besuch bei sich zu Hause empfangen. Ihre Mutter arbeitet im Schichtdienst als Kellnerin in der Mitropa-Gaststätte im Hauptbahnhof und liegt oft noch im Bett, wenn sie aus der Schule zurückkommt. Obwohl sie leise durch den Flur schleicht, ertönen sofort Rufe, die ihr gelten. Seit einigen Wochen ist die Mutter ständig außer sich, ihr Bauch sieht eindeutig größer aus. Die Mutter spricht mit ihr kein Wort darüber, und sie wagt nicht zu fragen. In den Augen der Mutter kann sie nichts richtig machen, blindlings schlägt sie auf ihre Tochter ein. Ihr Stubenarrest wird immer länger, zuerst waren es Tage und Wochen, doch dann hat die Mutter den Überblick verloren und gesagt, bis zum Herbst, bis der erste Schnee fällt, das ganze nächste Jahr muss sie drinnen bleiben.
    Sie bittet Elvira, nach der Schule eine Weile vor ihrer Wohnungstür zu warten, bis sich die Mutter wieder beruhigt hat. Sie fühlt sich stärker, weniger allein, und die Schläge schmerzen nicht so, wenn die Freundin ihre Schreie hört.

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    Sie hört ein Lachen, als sie die Wohnungstür öffnet, ein dunkles Männerlachen, und bevor sie die Küche betritt, fragt sie sich, ob dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Am Tisch sitzt ein Mann neben der Mutter, schwarzhaarig, mit dunklen Brauen, seine Schultern sind schmal, ein wenig nach vorn gezogen. Die Füße ihrer Mutter liegen auf seinem Schoß, er hat eine Hand um ihre nackten Knöchel gelegt. Vor ihnen stehen eine Weinflasche und zwei Gläser.
    Der Mann starrt sie an. Ist sie das, fragt er.
    Das ist deine Tochter, antwortet die Mutter mit gepresster Stimme und nimmt die Füße von seinem Schoß.
    Komm her, sagt der Mann, der ihr Vater sein soll.
    Er hat eine Fahne, denkt sie, als er sie umarmt, und da ist noch ein anderer, fremder Geruch.
    Sie beantwortet seine Fragen. An seinem Mittelfinger glänzen zwei Ringe, der Nagel an seinem linken kleinen Finger ist rot lackiert, Brusthaar kräuselt sich aus seinem weit geöffneten Hemd. Das soll ihr Vater sein? Er hat sich wieder der Mutter zugewandt, und es sieht so aus, als lausche sie seinen Worten mit Bewunderung.
    Später holt sie ihren Bruder vom Kindergarten ab. Er regt sich auf, als sie ihm von dem Mann in der Küche erzählt, der vielleicht auch sein Vater ist. Doch das erweist sich als Irrtum.
    Die Mutter stellt Alex vor, sie sagt: Es ist zwar nicht deiner, dafür hat er schöne Locken.
    Der Mann sieht ihn kaum an.
    Richtiges Engelshaar, sagt die Mutter. Alex steht stumm, nervös blinzelnd, vor ihm und scheint dem Heulen nah zu sein.
    Der Mann lacht laut und zeigt seine gelben Zähne. Wir wollen feiern, sagt er, ich bin in Feierlaune.
    Die Mutter gibt ihr Geld und schickt sie zu »Jahns Ruhe«. Der Wirt trägt ihr die Netze mit den Bierflaschen bis vor die Tür. Es wird schon dunkel, sie versucht sich vorzustellen, wie die Menschen hinter den erleuchteten Fenstern leben, doch heute gelingt es ihr nicht, zu viele Fragen gehen ihr durch den Kopf. Wird dieser Mann, der ihr Vater sein soll, bei ihnen wohnen? Werden sie eine Familie sein, zusammen an einem Tisch essen?
    Der Vater hat Durst, großen Durst. Er hat das Bier schnell ausgetrunken. Sie geht an diesem Abend noch oft zu »Jahns Ruhe«, die Kneipe schließt erst lange nach Mitternacht. Bevor sie ins Bett darf, umarmt der Vater sie, will seine Tochter gar nicht mehr loslassen, doch ihr sind diese Zärtlichkeiten peinlich.
    Seit der Vater bei ihnen wohnt, ist einiges anders geworden. Wenn sich die Mutter mit dem Vater streitet, was täglich geschieht, hat sie danach kaum noch die Kraft, um laut herumzuschreien oder ihre Kinder zu verprügeln. Es gibt Tage, da essen sie gemeinsam Abendbrot, sitzen wie eine Familie am Tisch. Wohl fühlt sie sich dabei nicht. Ständig nörgelt die Mutter herum. Sitzt gerade, sagt sie zu den Geschwistern, Hände auf den Tisch, nicht schmatzen, haltet den Mund.
    Aus irgendeinem Grund nennt der Vater ihren Bruder Thusnelda Morgenröte. Sich selbst bezeichnet er als Mensch: Der Mensch ist heute nicht zum Scherzen aufgelegt, sagt er beispielsweise, oder: Habe ich als Mensch etwa nicht meine Ruhe verdient?
    Dir

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