Das Mädchen: Roman (German Edition)
Seuchenmatte. Es ist vier Uhr dreißig, draußen ist es stockfinster. Sie schnallt sich den Melkschemel mit einem Gürtel um die Hüften, setzt sich vor eine Kuh, massiert das Euter mit einem Lappen, bis die Milch einschießt; sie hat den Dreh beim Melken schnell herausgefunden. Sie mag die Kühe, ihr leises Schnauben beim Wiederkäuen, die Wärme ihrer Körper.
Die vierhundert Kühe der LPG sind auf sechs Ställe verteilt, es gibt zwei Scheunen und ein Gebäude für die Kälberaufzucht. Das Lehrlingswohnheim liegt gleich neben den Ställen. In ihrem Zimmer sind zehn Mädchen untergebracht, sie schläft oben in einem Doppelstockbett. Sie freundet sich mit Babsy an, die eine Lederjacke trägt, Illustrierte aus dem Westen besitzt, Kette raucht und über Politik redet. Babsy will später unbedingt in den Westen, erzählt ihr viel von falschen Pässen, unterirdischen Gängen und der Flucht mit einem Heißluftballon. Sie selbst hat keinen Plan für ihr Leben, manchmal träumt sie davon, Veterinärmedizin zu studieren, dann wieder sieht sie sich als Schäferin durch die Felder ziehen, vielleicht wird sie Kriminalgeschichten schreiben wie ihr Vater oder mit ihren Brüdern das Haus im Wald bewohnen.
Einmal wird sie Zeugin, wie eine Kuh zu Tode geprügelt wird. Die Kuh ist auf den feuchten Fliesen ausgerutscht, und ein Arbeiter tritt dem Tier, das sich nicht schnell genug erheben kann, mit seinen Gummistiefeln in die Flanken, laut ruft er nach seinen Kollegen. Gemeinsam versuchen sie die Kuh hochzuhieven, doch sie rutscht noch einmal aus, diesmal grätschen ihre Hinterbeine auseinander. Es scheint kein Hochkommen mehr möglich, das Tier gibt verzweifelt klingende Laute von sich. Der Arbeiter nimmt eine Eisenstange und schlägt auf die Kuh ein, er schlägt, als wolle er nie wieder aufhören, die anderen feuern ihn lautstark an. Als sie Babsy davon berichtet, zuckt die nur mit den Achseln, reg dich ab, sagt sie, es ist nur ein Tier.
Sie besteht die Melkprüfung als Beste, doch die Arbeit beginnt sie zu langweilen. Schon bald gewöhnt sie sich an, die erste Stunde der Frühschicht im Stroh zu verschlafen, und sie sträubt sich, die schweren Strohballen vom Wagen in die Mistgänge zu werfen oder die vollen Melkkübel in den Kühlraum zu schleppen. Ihre Fehltage häufen sich.
Sie trampt mit Babsy von einem Ort zum anderen. Sie übernachten irgendwo, erwachen früh auf Parkbänken, in Heuschobern oder auch in fremden Wohnungen. Während Babsy sich mit anderen unterhält, steht sie abseits, nur wenn sie etwas getrunken hat, verliert sie ihre Schüchternheit und ergreift das Wort. Dann redet sie kühn drauflos, als hätte sie mehr zu sagen als jeder andere Mensch. Wenn sie dann morgens erwacht, ist es ihr nur noch peinlich.
Oft ist sie auch allein unterwegs. Dann ist ihre Reisegeschwindigkeit eine andere, sie verweilt länger an den Orten, geht in kleine Backsteinkirchen oder sitzt stundenlang am Ufer eines Flusses, manchmal stellt sie sich vor, ihre Brüder wären bei ihr. Sie mag es, in der Dämmerung über die Autobahn zu fahren und nicht zu wissen, wo sie ein paar Stunden später übernachten wird.
Als sie wieder einmal einen Tag nicht zur Arbeit erschienen ist, schluckt sie den ganzen Inhalt einer Tube Zahnpasta herunter, um einem Verweis zu entgehen. Babsy hat ihr erzählt, dadurch würde sich hohes Fieber einstellen. Doch sie muss sich nicht einmal erbrechen.
Als Babsy ihr eine andere Lösung vorschlägt, die ihr eine lange Krankschreibung einbringen wird, hält sie die Idee zuerst für einen Scherz.
Ich soll was tun?
Hab nur meine Hilfe angeboten, Babsy zuckt mit den Schultern, ist deine Entscheidung.
Du willst mir den Arm brechen? Mit einer Eisenstange?
Warum nicht? Das bringt mindestens zwei Monate, es dauert, bis ein Bruch verheilt.
Ihre Gedanken rasen. Sie will es nicht, und doch, sie muss verrückt sein, sie hält es für eine Möglichkeit.
Wir nehmen den linken Unterarm, Babsy lacht leise vor sich hin und schiebt zwei Stühle bis auf einen Abstand von ungefähr 15 Zentimetern zusammen, über diese Lücke soll sie ihren Arm legen. Sie folgt der Anweisung, schließt die Augen, hört die Eisenstange, zieht den Arm weg.
Es ist dein Problem, sagt Babsy, nicht meins.
Ein Zittern durchläuft ihren Körper. Babsy nennt sich ihre Freundin, doch was weiß sie schon von ihr? – dies zu denken erscheint ihr anstrengend, laut ihre Zweifel auszusprechen hält sie für unausführbar. Sie spürt eine Müdigkeit im
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