Das Mal der Schlange
richtiges Zuhause vor, in dem man glücklich sein konnte. Sie fragte sich, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie einen Mann wie Nathaniel kennengelernt hätte, nicht Jacob. Wenn sie Nathaniels Frau wäre und mit ihm hier lebte, neben ihm erwachte, jeden Tag bei ihm wäre. Wenn sie sich lieben würden und glücklich wären, wenn ihre Kinder durch dieses Haus liefen und die Luft erfüllt wäre von Lachen und Freude. Der Gedanke nahm ihr den Atem und verzweifelt schüttelte sie den Kopf um ihn zu vertreiben. Es war lächerlich und grausam zugleich.
Sie war eine verheiratete Frau, die alleine, ohne Begleitung, das Haus eines fremden Mannes aufgesucht hatte. Die wilde Hoffnung, er könnte ihr tatsächlich helfen, verließ sie mit einem Schlag und sie wäre am liebsten aufgestanden und davon gelaufen.
Wiederum schüttelte sie den Kopf, jetzt entschlossen und bestimmt. Sie würde nicht weglaufen. Wenn das Schicksal sich dazu entschlossen hatte, ihr diese eine Chance zu geben, würde sie alles tun, um weiter leben zu können. Sie hatte nichts zu verlieren.
Er hatte sie die ganze Zeit über stumm beobachtet, als wenn er darauf warten würde, wer den Kampf in ihrem Kopf gewinnt. Als er nun sah, wie sich ihre zusammengezogenen Brauen glätteten und sie ihren Blick hob und an ihm vorbei nach draußen sah, blitzte für den Bruchteil einer Sekunde Triumph in seinen Augen auf.
Durch das Fenster konnte man die in einem Halbkreis angelegte Straße sehen und den kleinen Park, der auf der gegenüberliegenden Seite einen Abschluss zur breiten Allee bildete. Es bogen nur wenige Fahrzeuge ein, hauptsächlich Kutschen oder Droschken und vereinzelt eines dieser neuen Automobile. `Deshalb hat er mich kommen sehen`, dachte Emmaline. Nathaniel hatte ihr bereits die Tür geöffnet als sie die Stufen zu dem gepflegten weißen Haus hinaufgestiegen war. Den herbeieilenden Butler hatte er sofort wieder weggeschickt, bevor er sie selbst ins Arbeitszimmer geführt hatte.
Es war ihm nicht entgangen, dass sich ihr Mund schmerzhaft verzog, als sie sich setzte.
„ Er hat dir nicht nur im Gesicht weh getan“, stellte er fest.
Emmaline schüttelte den Kopf.
„ Was noch“, drängte er.
„ Ein paar Rippen, eine kleine Absplitterung am Beckenknochen - das Übliche.“
„ Das muss aufhören“, wiederum eine Feststellung, keine Frage.
„ Ich weiß. Deshalb bin ich hier.“
„ Ich dachte schon, du würdest nicht kommen“, seine grünen Augen schienen nach etwas in ihrem Gesicht zu suchen.
„ Wo ist er“, fragte er, als Emmaline nicht antwortete.
„ In Paris. Er nahm an, dass ich noch nicht aufstehen könnte, da hielt er es für vertretbar, mich für eine Weile aus den Augen zu lassen. Wenn er mit den Hurenhäusern und Opiumhöhlen dort fertig ist, wird er nach Hause kommen und mir weiß Gott was für Krankheiten anschleppen.“ Sie schauerte.
Nathaniels Hände ballten sich zu Fäusten. Er drehte sich ruckartig weg und versuchte seine Fassung wieder zu gewinnen.
„ Er denkt sicher, meine Knochen sind bis zu seiner Rückkehr soweit verheilt, dass ich meine ehelichen Pflichten wieder erfüllen kann.“
„ Nein! Das wird nicht passieren.“ Er lief unruhig im Zimmer auf und ab.
„ Ich weiß.“
Schließlich setzte er sich ihr gegenüber in den zweiten Sessel und lehnte sich zurück.
„ Ich werde ihn in Stücke reißen“, seine Stimme klang ruhig und weich.
Emmaline sprang auf. „Nein!“ rief sie, sich die schmerzende linke Seite haltend. „Nicht du! Ich allein werde ihn töten! Das war der Entschluss, den ich am Brunnen gefällt hatte! Niemand anders außer mir wird sein Leben auslöschen!“
Er schloss die Augen, „Aber das war nicht alles.“
„ Mein Wunsch war es ihn zu töten und nicht dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ihn zu töten und frei zu sein. Niemand außer mir soll die Schuld tragen. Aber ich möchte mich nicht vor dem Gesetz verantworten müssen, immerhin hat dieser Mistkerl den Tod verdient!“
„ Und du bist bereit, dafür mit diesem Leben zu bezahlen?“ wiederholte er die Frage, die er ihr in Alastairs Garten gestellt hatte. Er hatte den Kopf schief gelegt und sah sie an. In seinem Blick lag etwas, das sie nicht deuten konnte.
„ Ich kenne nur dieses eine Leben, Nathaniel, und ich kann es so nicht weiterleben. Ich könnte leichter mit der Schuld umgehen, einen Menschen, nein, diesen Menschen getötet zu haben, als die Grausamkeiten dieses selben Menschen auch nur einen Tag länger zu
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