Das Matrazenhaus
überreicht. Sie klopft auf die Tasche, die sie über der Schulter hängen hat. »Apollo«, liest er, »was ist da drin?« Er greift danach. Sie dreht sich weg. »Erst zu Hause«, sagt sie. »Ich will auch ein Geschenk«, sagt er. Sie lacht. »Wo ist dein iPod?«, fragt sie. Er zuckt mit den Schultern. Nach der Auferstehungsfeier brauche er ihn nie, sagt er.
Der Südwind treibt sie an. Am Himmel sind dort und da Sterne zu sehen. Sie denkt an die Selbstverständlichkeit, mit der Lara sich bewegt, an ihre Position in der Klasse und an die Frage, ob es tatsächlich nur in den Köpfen der Sehenden schlimm ist, von Geburt an blind zu sein. »Was überlegst du?«, fragt er. »Dass die Welt ungerecht ist«, sagt sie, »Lara sieht zu wenig, du hörst zu viel.« Er knufft sie in die Seite. »Niveauloser Witz«, sagt er. »Ich weiß«, sagt sie.
Sie kommt mit dem Speisetablett aus der Küche und erschrickt. »Was soll das?«, fragt sie, »wir haben nicht Fasching.« Er breitet die Arme aus und dreht sich einmal rundherum. Die sei in der Tasche gewesen, sagt er. In seinem Schrank hänge das Gegenstück – eine Cuculla. »Eine was?!«, fragt sie, er sehe aus wie ein Gespenst und wie er überhaupt dazu komme, ihr Geschenk zu öffnen. Es tue ihm leid, sagt er, manchmal gingen die Dinge mit ihm durch, nach wie vor. Dann sagt er: »Cuculla, die Flocke, das mönchische Festgewand«, und weist gleichzeitig auf den Tisch. Das sei auch noch in der Tasche gewesen – ein Heft, ein paar Blätter Papier und eine Doppel-DVD. »Zieh das aus«, sagt sie. Er gehorcht.
Als sie das Heft aufschlägt und die erste Seite liest, wird ihr schwindlig. Sie setzt sich. »Was ist?«, fragt er. Sie schiebt es ihm hin. »Switi und Fanni im Matratzenhaus«, liest er laut, »und der zweite Satz: Ich bin die schwarze Flocke, dunkler Schnee, der alles bedeckt.« Er lehnt sich zurück. Er sei im Moment verwirrt, sagt er.
»Britta«, sagt sie nach einer Weile. Sie klopft mit den Fingernägeln auf den Tisch. »Wie bitte?«, fragt er. Britta Kern habe swarze Slocke gesagt, so einfach sei es.
Er blättert in dem braunen Heft. »Lauter Pelikan-Geschichten«, sagt er, »eins bis neun, am Ende ein einzelner anderer Text.« Er solle ihr eine Pelikan-Geschichte vorlesen, sagt sie. Welche, fragt er und sie sagt, die erste.
Er liest von einem Pelikan, der einen kleinen Elefanten zum Freund hat. Der Elefant ist ein wenig tolpatschig, wie Elefanten halt so sind, und bringt die ehrgeizigen Projekte des Pelikans regelmäßig zum Scheitern. Unter anderem schwimmt er ausgesprochen langsam, mag keinen Fisch und das Fliegen funktioniert überhaupt nicht, obwohl der Pelikan von einem kleinen Elefanten gehört hat, der das mit seinen riesigen Ohren gut konnte. Der kleine Elefant wird traurig, weil er merkt, dass er den Ideen des Pelikans nicht gerecht wird, und entschließt sich, den Pelikanfreund gegen einen anderen Elefanten zu tauschen.
»Aus«, sagt er. »Wie bitte?«, fragt sie. Die Geschichte ende so, es tue ihm leid, sagt er. »Noch eine«, sagt sie.
Die Eltern eines kleinen Pelikans werden von einem gefräßigen Seelöwen getötet. Der Pelikan beschließt erst, die Wohngegend zu wechseln, und zieht nach Afrika. Dort trifft er einen weisen Schimpansen, der ihm eröffnet, er werde erst Ruhe finden, wenn seine Eltern gerächt seien. Der Pelikan lernt daraufhin verschiedene Kampftechniken und transportiert ein ganzes Arsenal von Waffen zurück an seinen Strand. Er beginnt den Seelöwen zu bekämpfen, mit Schnabelangriffen, mit Wurfgeschoßen und mit vergifteten Fischen. Nichts führt zum Erfolg. Am Ende gibt ihm ein Kormoran den Tipp, den Pottwal zu fragen. Der Pottwal hört sich die Geschichte an, schwimmt an den Strand des Pelikans und frisst den Seelöwen auf.
»Und aus.« Schon besser, sagt sie, die wievielte sei das gewesen. »Die neunte«, sagt er, »die letzte.« »Lies jetzt, was nachher kommt«, sagt sie. Er blickt in das Heft. »Es trägt den Titel Was ich mit ihm tun werde«, sagt er. »Mit wem?«, fragt sie. Keine Ahnung, sagt er.
Ich habe sie studiert, beide. Ich habe lang genug Zeit gehabt. Ich kenne die Medikamente, die sie nimmt, und ich weiß, wann er Kaffee trinkt. Ich trete an ihn heran und flüstere ihm ins Ohr, dass ich mit ihm hinaufgehen will. Er ist überrascht und fragt, warum, und ich sage, weil ich bald eine Frau sein werde und weil ich es von ihm haben möchte, das ist er mir schuldig. Er grinst und steht auf. »Na, dann
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