Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
verlegen. Er bestreite gar nichts, sagte Frühwald, er habe das alles getan, sowohl die Sache im Kindergarten als auch in der Spielwarenhandlung, und es sei ihm klar, dass er es besser bleiben lassen hätte sollen, aber das sei ihm nicht möglich gewesen. Elf Jahre habe er stillgehalten, dann sei er eine halbe Stunde lang laut gewesen. »Man hat mir vor elf Jahren meine Frau genommen, verstehen Sie«, sagte er, »und jetzt nimmt man sie mir wieder.« Er stand da, rote Abdrücke rund um die Augen, und tropfte. Ob es ihnen etwas ausmache, wenn er sich ein Badetuch hole, er habe seine Tasche unter den Zugangssteg des Bootshauses gestellt.
    Sie gingen hinter ihm her. O-Beine, Krampfadern und ein Gang wie ein Mensch, der viel getragen hat, dachte Kovacs. »Sie haben eine Menge hinter sich«, sagte er. Frühwald bückte sich und zog die Tasche hervor. »Ja«, sagte er, »dreieinhalb Kilometer bei knapp fünfzehn Grad.« Er rubbelte sich Kopf, Arme und Beine trocken und faltete das Badetuch wieder zusammen. »Sie können sich drinnen umziehen«, sagte Veronika Bayer. Er mache das lieber an Ort und Stelle, erwiderte Frühwald und begann sich aus dem Neopren-Shorty zu schälen.
    »Warum die Kinder?«, fragte Kovacs unvermittelt. Frühwald hielt inne. »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
    »Warum Felix Szigeti, warum Britta Kern, warum Sen Wu?«
    Kurt Frühwald ließ die Arme sinken und starrte Kovacs fassungslos an. Dann begann er schallend zu lachen. »Wissen Sie«, sagte er schließlich, »Sie sind ein Trottel, aber ich bin kein Psychopath.«
    Es kam nicht oft vor, dass Ludwig Kovacs eine tiefe Zufriedenheit empfand, wenn jemand sagte, er sei ein Trottel. Diesmal war es so.
     

Zwanzig
    Ich erkläre ihr den Weg. Ich sage: »Faistauergasse, Ruderclubweg, Fürstenaustraße«, und sie sagt: »Stimmt.« Ich sage: »Ein Zug fährt durch den Berg.« Sie bleibt stehen, horcht und sagt: »Falsch.« Ich sage: »Der Felsen, der aussieht wie eine Eule«, und sie sagt: »Den habe ich noch nie gesehen.« Dann lachen wir. Ich sage: »Vorbei am Matratzenhaus.« Sie sagt: »Ein lustiger Name.« Ich sage: »Fluchtweg Nummer eins, Blumenhandlung, Sackgasse.« Sie hebt die Nase und sagt: »Blumenhandlung stimmt.« Ich sage: »Findus, ein Wombat.« Sie sagt: »Blödsinn.« Ich sage: »Gelbe Halle«, sie fragt mich, warum eine Sackgasse Sackgasse heißt. Ich sage: »Drahtfabrik, Sensenerzeugung, Galvanisierungsanstalt«, und sie fragt, warum überhaupt Fluchtweg. Zwischendurch sage ich: »Moped, Gehsteigkante, Plakatwand«, sie sagt: »Du lügst.« Ab und zu sage ich: »Volvo«, einfach so, und sie sagt gar nichts.
    Lara ist mein Herold. Dafür habe ich sie ausgewählt. Würde ich Seppuku machen, wäre sie mein Kaishaku-Nin. Sie selbst hat einen Leibwächter, auch eine Art Kaishaku-Nin. So entsteht eine kleine Kette. Das gefällt mir. Lara ist in der Klasse direkt vor Switi gesessen. Switi hat ihr in den Rücken geatmet oder Brösel in den Nacken gespuckt. Deswegen habe ich sie genommen. Sie weiß, wie Switi gerochen hat. Außerdem ist sie aufmerksamer als der Rest der Welt.
    Der Holunderstrauch, die Blechtonne, die drei Bretter. Der Leibwächter winselt leise. »Ruhig«, sagt sie. Wir steigen die schmale Treppe nach unten. In der rechten Hand führt sie die Leine, links stützt sie sich an der Wand ab. »Keine Angst, unten ist es hell«, sage ich. Wir lachen.
    Ich führe sie an die Werkbank. Sie legt ihre Hand an die Kante. Ich zeige ihr mein Werkzeug, die Hämmer, die Feilen und den Ölschleifstein, den ich mir gekauft habe. Sie dreht an der Kurbel. Der Stein läuft ganz leicht. »Strom gibt es hier unten keinen«, sage ich. Ich bin trotzdem zurechtgekommen.
    Longbottom sucht sich einen Platz unter dem Fenster und legt sich hin. Ich schiebe den alten Stuhl mit dem Eisengestell an sie ran und sage: »Setz dich.« Sie lässt die Fingerkuppen über die Tastatur gleiten, über das Touch-Pad, die Kanten des Displays entlang. »Das habe ich mir auch gekauft«, sage ich, »den Ölschleifstein und das Notebook. Es hat ein integriertes DVD-Laufwerk und einen Akku, der sechs Stunden hält.«
    »Warte einen Moment«, sage ich. Ich gehe hinter die Plankenwand und schlüpfe in die Cuculla. Longbottom steht auf und brummt, als ich zurückkomme. Dann legt er sich wieder hin. »Du hast dich verändert«, sagt Lara. Ich trete an sie heran, nehme ihre Hand und lege sie auf den Stoff. Ihre Finger machen winzige Bewegungen. »Falten«, sagt sie, »ganz viele

Weitere Kostenlose Bücher