Das mittlere Zimmer
schaltete die Scheinwerfer ein. Aber keiner der Fahrer interessierte sich für sie.
Und so hatte sie Zeit genug, all ihre Wut und ihren Hass auf Johann aus den Tiefen ihrer Seele emporsteigen zu lassen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihre Gedanken färbten sich blu trot. Sie wollte, dass Sturm aufkam, dass Blitze vom Himmel zuckten, dass der Boden sich auftat!
Sie wollte Rache! Rache für ihre Tochter, Rache für ihre Eltern, Rac he für all die Frauen, die das Ungeheuer ermordet hatte, und für all die Menschen, die seinetwegen sterben mussten! Sie wollte diesen Unmenschen, dieses Wesen, das kein Mensch mehr war, dieses Vieh zertreten wie eine hässliche fette Made! Bis zur Unkenntlichkeit zertreten wie einen -
Scheinwerfer tauchten in der Ferne auf. Ein Auto kam schnell näher.
Rike ließ den Motor an, schaltete die Scheinwerfer ein und sah auf die Uhr: 21.30. Das konnte nur Johann sein. Pünktlich und pedantisch bis in den Tod.
Nachdem das Auto die Kreuzung passiert hatte, bremste Johann ab und kam keine zwanzig Meter von Rike entfernt auf der anderen Seite am Straßenrand zum Stehen. Es handelte sich eindeutig um Johanns alten Kombi. Auch den Wagen hasste sie - er stand für Täuschung und Verrat!
Ihre Finger umklammerten das Lenkrad. Ihr Kopf kühlte ab, konzentrierte sich, machte sich bereit. Sie kam sich vor wie der Jäger, der darauf wartet, dass die Beute sich zeigt.
Aber zunächst einmal tat sich gar nichts. Rike fragte sich, ob Johann lauernd hinter seinem Lenkrad saß und genau das gleiche Bild im Kopf hatte wie sie: das Bild vom Jäger und seiner Beute. Oder grübelte er darüber nach, warum sie in einem fremden Wagen gekommen war? Oder ob sie allein im Wagen saß? Warum sie den Motor nicht abschaltete?
So jedenfalls ging das nicht weiter! Also ließ sie ihre Seitenscheibe herunter und rief zu J ohann hinüber: „Willst du dich nicht zu mir ins Auto setzen, damit wir endlich reden können?“
Ob er sich dadurch aus der Deckung locken ließ? Zunächst blieb er si tzen, weil sich von links ein Auto näherte. Der Fahrer mochte sich fragen, was da los war, aber er hielt nicht an. Kaum war er hundert Meter entfernt, als Johann die Wagentür öffnete und ausstieg. Er stieg tatsächlich aus!
Rikes Pulsfrequenz schnellte in die Höhe. Rache - sie würde ihre Rache bekommen! Es war so weit - sie würde di esen Menschen vernichten!
Als Johann etwa zehn Meter von seinem Wagen entfernt war, trat sie aufs Gas. Die Räder drehten fast durch, dann sprang der Wagen förmlich nach vorn. Statt zurück zu seinem Auto zu fliehen, blieb J ohann stehen, zog etwas aus seiner Jackentasche und richtete es nach vorn. Eine Pistole. Und er benutzte sie.
Nur weil Rike geiste sgegenwärtig das Steuer zur Seite riss, traf die erste Kugel den Rahmen knapp neben der Frontscheibe, dabei brach der Wagen hinten aus, sie steuerte gegen. Johann stand breitbeinig vor ihr auf der Straße, die Waffe in beiden Händen, und zielte mit ausgestreckten Armen genau auf Rike. Wie im Film. Völlig unwirklich. Zwei weitere Schüsse, die nichts Wichtiges trafen. Dann wollte Johann vor dem heransausenden Wagen zur Seite springen - aber er war eine Zehntelsekunde zu langsam.
Die Stoßstange erwischte sein Bein. Johann wurde zwei, drei Meter weit nach hinten auf die Straße geschleudert und schlug heftig mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Aber er ließ die Pist ole nicht los und versuchte sofort (wenn auch im Zeitlupentempo) sich auf den Bauch zu drehen und wieder auf die Füße zu kommen. Aber das durfte Rike nicht zulassen!
In ihrem Hirn explodierte der Hass. Sie trat das Gaspedal herunter, der Wagen schoss vo rwärts, prallte hörbar gegen Johanns Körper und holperte über ihn hinweg wie über ein Hindernis zur Verkehrsberuhigung. Ein paar Meter weiter bremste sie ab, legte den Rückwärtsgang ein und rollte noch einmal über das Hindernis. Nach zehn Metern hielt sie an. Vor sich im Scheinwerferlicht sah sie ein regloses Bündel auf der Straße liegen. Ein dunkles Rinnsal lief über den Asphalt.
Gerade als ein Fünkchen Mitleid in Rikes Seele aufglühen wollte, sah sie das blasse, unschu ldige Gesicht von Hannah vor sich - und ihr Fuß drückte das Gaspedal herunter, und der Wagen überrollte gnadenlos ein weiteres Mal Johanns Körper. Und wieder zurück. Und wieder vorwärts. Sie würde das Ding auf dem Boden zerquetschen, bis nichts mehr von ihm übrig war! Rückwärts, vorwärts. Das Hindernis unter ihren Rädern wurde immer
Weitere Kostenlose Bücher