Das Monster von Moskau
verwunderlich in diesen unruhigen Zeiten, mein Kind. Er nutzt sie aus, und er holt sich die Menschen, die sowieso am Rande der Gesellschaft leben. Deshalb fällt es nicht besonders auf. Nur einmal hat sich die Polizei gewundert, dass man eben in dieser Woche so viele Tote fand. Nach Ostern hörte das Morden auf. Man hat sich dann um die Taten nicht weiter gekümmert.«
Karina Grischin wartete einen Moment mit ihrer Frage. »Und du meinst, dass das Monster von Moskau wieder zurückkehren wird?«
»Ja. Heute. Wenn du dich daran erinnerst, haben wir eine Woche vor dem Osterfest. Karsonntag. Palmsonntag. Daran musst du denken.«
»Und du denkst an eine Wiederholung.«
»Deshalb habe ich dir Bescheid gesagt. Nur aus diesem Grund sind wir hierher gekommen.«
Karina Grischin wusste nicht so recht, was sie antworten sollte. Die Stimme des alten Valentin hatte sich sehr ernst angehört. Er war fest davon überzeugt, dass das Monster von Moskau wieder erscheinen würde. Wäre es nicht so gewesen, hätte er sie nicht geholt.
»Und wenn das Monster erscheint?«, fragte sie. »Was tut es dann?«
»Bitte, es tötet.«
»Ja, das habe ich schon verstanden. Ich habe nur Probleme damit, es mit anderen Vorgängen in Verbindung zu bringen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Du denkst an die Toten, die ihre Gräber verlassen, um ihre Sünden abzubüßen?«
»Ja. Genau daran.«
Valentin winkte mit einer schlaffen Bewegung ab. »Ja, das gehört dazu«, sagte er dann. »Er will ja das Gleiche wie sie. Aber es ist die Frage, ob er es schafft. Nein, er wird es nie schaffen. Er ist frustriert und bringt Menschen um. Dann hat er wieder ein Jahr Ruhe. Aber er kommt zurück – immer.«
Karina war noch immer nicht überzeugt. Sie wollte eine passende Erklärung haben, aber sie wusste selbst, wie schwer es war, eine solche zu bekommen. In Fällen, denen sie nachging, hinkte die normale Logik oft hinterher. Man musste sich hier schon auf einer besonderen Ebene bewegen, das hatte sie gelernt, auch von ihrem Freund John Sinclair, der in London ungewöhnlichen Fällen nachging und sich dabei mit übersinnlichen Phänomenen herumschlug.
Schon jetzt fragte sie sich, ob das hier ein Fall für den Geisterjäger war. Karina hatte ihm versprochen, ihn bei bestimmten Fällen zu holen. Bisher war John auch immer gekommen, aber in diesem Fall wusste sie einfach zu wenig.
Das merkte auch Valentin, denn er sagte: »Du willst noch mehr über Kozak wissen?«
»Ist das so schlimm?«
»Nein, aber deshalb sind wir hier.«
»Du glaubst also, dass Kozak erscheinen wird?«
»Davon bin ich überzeugt, denn hier in diesem Außenbezirk fühlt er sich wohl. Wir befinden uns zwar in Moskau, aber ein Fremder würde nur den Kopf schütteln, wenn du ihm das sagst. Er würde meinen, wir sind in einem Dorf irgendwo in der Taiga.«
»Da kannst du Recht haben. Moskau ist eben groß. Ein Moloch, der viel frisst und auch vieles wieder ausstößt.«
»Genau das denke ich auch. In dieser Nacht fangen sie an, Karina. Da versuchen sie es wieder. Wer das Monster sehen will, der muss jetzt unterwegs sein.«
»Wie wir.«
»Genau.«
»Und was tun wir?«
»Wir werden uns umschauen. Und wenn wir Glück haben, finden wir bereits die ersten Spuren. Ich kann dir sagen, dass es in dieser Nacht noch nicht so schlimm sein wird. Aber es werden andere Nächte kommen. Dann schöpfen die Toten Kraft. Dann denken sie an ihre Sünden und wollen sie bereuen. Vielleicht schaffen es einige und finden ihre ewige Ruhe. Ich weiß das nicht so genau.«
Karina Grischin nickte und schwieg. Nach einer Weile stellte sie eine bestimmte Frage. »Welchen Grund gibt es denn dafür, dass wir hier auf sie und auf ihn warten?«
»Das kann ich dir auch sagen. Hier ist der Ursprung und die Folge zugleich.«
»Ich verstehe es trotzdem nicht.«
»Wenn du den schmalen Weg hier weiter ins Dorf und bis zur Kirche gehst, wirst du Menschen erleben, die zwar Russen sind, sich aber nicht so fühlen. Dieser kleine Vorort ist eine ukrainische Enklave. Hier leben nur Ukrainer.«
»So ist das also«, sagte Karina. »Muss ich davon ausgehen, dass Kozak ein Ukrainer ist?«
»Richtig. Er ist eine Gestalt aus der Ukraine. Ein Sagengeschöpf, wenn man so will. Aber leider auch eines, das existiert. Der Teufel, ein Hexer, ein Vampir. Die Menschen in der Ukraine haben viele Namen für ihn gefunden.« Er deutete wieder mal nach vom.»Und wenn du auf den Friedhof gehst und dir die Gräber anschaust, dann muss ich
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