Das Mordkreuz
gesehen? Er war auf dem Sprung gewesen, hinüber zu Wilde und Imhof, direkt ins Zentrum des Feuers.
«Kilian!», rief er wie erstickt.
Seine Finger krallten sich in die Bodenspalten, die sich inzwischen mit Wasser gefüllt hatten, und er zog sich weiter.Wieder schrien die Stimmen auf ihn ein. Jetzt verstand er sie. «Halt, nicht weiter.»
Er hörte nicht darauf. Jetzt konnte er etwas fassen. Es fühlte sich weich, aber auch starr und zerbrechlich an. Was war das? Das musste Kilian sein. Er griff beherzt zu.
«Komm mit», sagte er bestimmt und setzte die verbliebene Kraft ein, um ihn aus der Gefahrenzone zu ziehen. Etwas fiel zu Boden. Er hörte es ins Wasser klatschen. Das, was er in der Hand hielt, fiel mit um.
«Kilian, bist du das?»
Keine Antwort.
«Sag was. Ich kann dich nicht sehen.»
Im prasselnden Regen hörte er etwas, das gegen einen Stein schlug. Etwas aus Metall.
«Greifen Sie die Stange», schrie jemand.
«Wo ist Kilian?», rief er zurück.
Ein Donnergrollen erstickte die mögliche Antwort. Das Gewitter war nicht mehr direkt über ihnen, sondern war etwas weitergezogen.
Heinlein griff um sich. Da war es wieder, dieses Weiche und gleichsam Erstarrte. Jetzt konnte er es riechen. Es roch nach Benzin und Verbranntem. Das musste er sein. Kein Zweifel. Mit letzter Kraft packte er zu und zog, so gut er nur konnte.
Ein dumpfer Laut, so, als wäre etwas aus einer Verankerung gesprungen, und ein Ratsch, wie wenn verrotteter Stoff riss.
«Mein Gott», hörte er jemanden rufen, «er zerrt an der Leiche.»
Eine weitere: «Machen Sie doch endlich was.»
Daraufhin hörte Heinlein schnell näher kommende Schritte. Dann zwei behandschuhte Hände, die nach Chemie und Rauch rochen. Sie packten fest und entschlossen zu und zogen ihn weg.
«Nein», schrie Heinlein. «Retten Sie Kilian.»
Doch der Mann wollte nicht hören. Er ließ erst locker, als sie einen Krankenwagen erreicht hatten. Er spürte weitere Hände, die seine Kleidungsstücke aufschnitten und etwas auf die Haut legten.
«Hören Sie mich?», sprach ihn jemand an.
«Ja», antwortete Heinlein. «Wo ist Kilian?»
«Wer?»
«Mein Kollege.»
Eine Pause entstand. «Ich weiß nicht», antwortete die Stimme schließlich.
«Er muss irgendwo liegen. Suchen Sie ihn.»
«Das ist unmöglich. Hier brennt es noch überall. Viel zu gefährlich.»
Heinlein bäumte sich auf. Er starrte blind in die Nacht und erhob seine Stimme. «Ich befehle es Ihnen.»
Vier Hände drückten ihn zurück. «Beruhigen Sie sich. Die Kollegen kümmern sich darum.»
«Dann lebt er noch?»
«Ich weiß es nicht. Dort am Feuer sitzt ein vollkommen verkohlter Körper, und im Straßengraben liegt noch jemand.»
«Das muss er sein.»
«Schluss jetzt!», befahl eine andere Stimme. «Bringen Sie ihn endlich ins Krankenhaus.»
«Warten Sie», bat Heinlein.
«Nein, jede Sekunde zählt.» Dann zu den anderen: «Ab mit ihm.»
Die Trage, auf der Heinlein lag, wurde hochgehoben und auf die Schienen gesetzt. Bevor er im Bauch des Krankenwagens verschwand, drang ein Laut an sein Ohr, den er nicht kannte, der ihm aber durch die zahlreichen Beschreibungen der letzten Tage vertraut war. Er kam von der Stelle, wo sich das Steinkreuz mit der Aufschrift Rós Fódhla befinden musste.
Es klang nach einem Weinen, dem Wehklagen einer Frau.
«Was ist denn das?», hörte er jemanden erstaunt fragen.
Heinlein blickte auf. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Gestalt, die heller strahlte als jede Sonne.
Epilog
Die Sage von Rós Fódhla – Tod und Auferstehung der Weißen Frau.
Auf der Straße von Eibelstadt nach Randersacker ereignete sich einst ein schrecklicher Mord. Die schöne und liebenswerte Rosie Wilde wurde von ihrem eifersüchtigen Ehemann hinterrücks in den Tod geschickt. Er hatte das Fahrzeug manipuliert, das sie in die Arme ihres Geliebten hätte bringen sollen. Im darauffolgenden Prozess hatten sich der Staatsanwalt und der Richter auf die Seite des Ehemanns geschlagen und den Mann, der an ihrem Tod mitschuldig war, vor einer Strafe bewahrt.
Dieses Unrecht ließ ihren Geliebten nicht länger ruhen, bis die Gerechtigkeit wiederhergestellt war. Er suchte die Täter einen nach dem anderen auf und führte sie ihrer gerechten Strafe zu. Der eine starb unter der Last seiner verräterischen Familie, der Richter am Ort eines Fehlurteils, und der Staatsanwalt verbüßte seine Strafe im Zeichen des Betrugs. Der Ehemann, von dem all das Übel ausgegangen war, sollte zuletzt
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