Das Multiversum 1 Zeit
Wurzel …«
»Die vermutlich Wellen beschreibt, die aus der Zukunft eintreffen.«
»Nun, ja. Die wir als Voraus-Wellen bezeichnen.«
»Das ist physikalisch hundertprozentig fundiert, Ms. Stoney«, sagte Cornelius. »Viele physikalische Gesetze sind nämlich zeitsy-metrisch. Wenn sie vorwärts ablaufen, sieht man, wie ein Atom ein Photon emittiert. Wenn sie rückwärts ablaufen, sieht man, wie ein Photon von einem Atom eingefangen wird …«
»Und an dieser Stelle kommt Feynman ins Spiel«, sagte Dan.
»Feynman zufolge wird die ausgehende Strahlung im Universum 94
von Materie – Gaswolken – absorbiert. Das Gas wird angeregt und sendet seinerseits Voraus-Wellen aus. Die Energie all dieser kleinen Quellen reist in der Zeit zum Empfänger zurück. Und es entstehen Interferenzen. Eine Welle löscht die andere aus. Die sekundä-
ren Voraus-Wellen löschen die ursprüngliche Voraus-Welle im Empfänger aus. Und die gesamte Energie geht auf die retardierte Welle über.«
»Das ist geradezu ästhetisch«, sagte Malenfant. »Man muss es sich so vorstellen, dass diese geisterhaften Wellen-Echos perfekt synchronisiert in der Zeit rückwärts und vorwärts reisen und im Zusammenspiel eine banale Funkwelle abbilden.«
Emma drängte sich das unheimliche Bild von ein paar Atomen auf, die in einer düsteren Zukunft verteilt waren, in einer mysteriösen Choreographie Photonen emittierten, und diese Photonen bündelten sich, rasten zur Erde und gewannen dabei immer mehr an Kraft, bis sie hier und jetzt um sie herum auf die Erdoberfläche trafen …
»Das Problem ist«, sagte Cornelius mit sanfter Stimme, »dass Feynmans Theorie bei näherer Überlegung auf Annahmen über die Materieverteilung in der Zukunft des Universums beruht. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass jedes Photon, das den Empfänger verlässt, irgendwo von Materie absorbiert wird – vielleicht erst in Milliarden Jahren. Aber was, wenn das nicht zutrifft? Das Universum ist keine bloße Gaswolke. Es besteht aus fester Materie, und es dehnt sich aus. Und es scheint immer transparenter zu werden.«
»Wir halten es für möglich, dass nicht alle Voraus-Wellen vollständig gelöscht werden«, sagte Dan. »Deshalb der ganze Aufwand.
Wir verwenden diese Funkschüsseln, um Mikrowellenstrahlung in den Weltraum abzustrahlen. Dann variieren wir den Versuchsaufbau: Wir senden Impulse in einen Schwingungsdämpfer. Anschlie-
ßend messen wir die Ausgangsleistung. Erinnern Sie sich, dass die Voraus-Wellen laut Feynmans Theorie die Energie der retardierten 95
Wellen verstärken sollen. Wenn das Universum aber kein perfekter Absorber ist…«
»Dann würde in den beiden Fällen eine Differenz auftreten«, sagte Emma.
»Genau. Wir müssten beim Abstrahlen eine Abweichung von einer Millisekunde feststellen, weil der Echo-Effekt nicht perfekt ist.
Und wir hoffen in diesen zurückkehrenden Voraus-Wellen-Echos eine Botschaft zu finden – falls jemand am Unterlauf der Zeit eine Möglichkeit gefunden hat, sie zu modifizieren.
Wir arbeiten in wolkenlosen Nächten und zielen über die Ebene der Galaxis, sodass wir alles ausblenden, was wir sehen. Wir ver-muten, dass nur ein Prozent der Leistung von der Atmosphäre absorbiert wird und nur drei Prozent von der Galaxis. Der Rest müsste es in den intergalaktischen Raum schaffen, auch wenn er sich auffächert und ausdünnt.«
»Wir können natürlich sicher sein«, sagte Cornelius, »dass jede Nachricht, die uns erreicht, auch von Bedeutung für uns ist.« Er schaute in die Runde; seine Haut schien im Sternenlicht zu glü-
hen. »Für uns vier persönlich, meine ich. Denn sie wissen, dass wir hier sitzen und diese Sache planen.«
Emma erschauerte erneut. »Und haben Sie schon etwas gefunden?«
»Nicht im Bruchteil einer Milliarde«, sagte Cornelius.
Es wurde still, außer dem Rauschen des Winds in den Pechschwarzen Bäumen.
Emma wurde sich bewusst, dass sie die Luft angehalten hatte und stieß sie sachte aus. Natürlich nicht, Emma. Was hast du denn erwartet?
»Es ist eine himmelschreiende Schande«, sagte Dan Ystebo und holte sich das nächste Bier. »Solche Experimente sind natürlich schon früher durchgeführt worden. Sie tauchen in der Literatur auf. Schmidt im Jahr 1980. Partridge, Newman ein paar Jahre 96
zuvor. Immer negativ … Weshalb«, sagte er bedächtig, »wir andere Optionen in Betracht ziehen.«
»Welche anderen Optionen?« fragte Emma.
»Wir müssen etwas anderes verwenden«, sagte Cornelius.
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