Das Multiversum 1 Zeit
sollen und so viel gekostet hätte wie eine kleine Raumstation. Und trotz der vielen Millionen Dollar, die man da-für schon ausgegeben hatte, schien auf diesem Feld seit Jahrzehnten kein fundamentaler Durchbruch erfolgt zu sein.
Immerhin erhielt sie die Nachricht, dass die Genehmigung für die Benutzung von Fermilab erfolgt war.
Das war auch keine Überraschung. Sie hatte die Physiker als intelligent und leicht reizbar kennen gelernt – aber sie waren auch weltfremd und leicht auszumanövrieren.
Sie lehnte sich nachdenklich zurück. Die Frage war, was sie mit dieser Nachricht anfangen sollte.
Sie beschloss, es vorläufig für sich zu behalten, um noch etwas mehr Leistung aus Malenfant herauszukitzeln. Wenn sie Malenfant nämlich von diesem Erfolg erzählte, würde er gleich das erste 104
Flugzeug nach Chicago nehmen. Und sie hatte noch viele Punkte mit ihm zu besprechen.
Zum Beispiel den Druck, den Cornelius auf Bootstrap ausübte, um die Firma in ein weiteres Eschatology-Projekt zu verwickeln: die Milton-Stiftung.
Die Stiftung war eine Reaktion auf die superintelligenten Kinder, die auf der ganzen Welt wie Pilze aus dem Boden schossen.
Die Stiftung wollte sich dieser Kinder annehmen, um zu gewährleisten, dass ihre besonderen Bedürfnisse befriedigt wurden und dass sie die Möglichkeit erhielten, ihre Fähigkeiten anzuwenden.
Kein potenzieller Einstein sollte sein kurzes Leben mit Feldarbeit vergeuden, kein zweiter Picasso in einem sinnlosen Krieg umkom-men – keine ›stummen, namenlosen Miltons‹ mehr. Jeder würde von dieser neuen geistigen Ressource profitieren: die Kinder selbst, ihre Familien und die gesamte menschliche Rasse.
Das war der Aufhänger, und Malenfant war bereitwillig darauf eingegangen; es harmonierte nämlich mit seiner Sichtweise einer Zukunft, die gemanagt werden musste – idealerweise von Reid Malenfant.
Emma war alles andere als begeistert, und zwar aus einer Reihe von Gründen.
Ihr lag zum Beispiel ein Bericht über einen Jungen vor, den man in Sambia im südlichen Afrika entdeckt hatte. Er schien der Intelligenteste von allen zu sein, nach einem global angewandten Beur-teilungsverfahren. Aber war das eine Rechtfertigung, ihn aus seinen Lebensumständen herauszureißen und in eine Schule zu stecken, vielleicht noch auf einem anderen Erdteil? Welchen Vorteil sollten ein solches Kind oder seine Eltern wohl haben, wenn sie mit einer mächtigen, anonymen westlichen Körperschaft wie Eschatology in Kontakt kamen?
Außerdem – was war die wirkliche Ursache dieses Phänomens superintelligenter Kinder? Handelte es sich wirklich um einen außer-105
gewöhnlich günstigen Umwelteinfluss, wie die Experten behaupteten?
Wenn sie das Gefühl hatte, dass sie einen Aspekt des Geschäfts nicht unter Kontrolle hatte, folgte sie immer ihrem Instinkt und machte sich selbst kundig. Sie musste wenigstens einmal mit eigenen Augen sehen, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte. Dieser Fall in Sambia, der erste in Afrika, bot sich dafür an.
Es war natürlich möglich, dass diese Eingebung auf den Tequila zurückzuführen war.
Afrika. Mein Gott.
Sie goss sich noch einen ein.
■
Die Reise war umständlich – ein Hüpfer über den Atlantik nach England und dann eine schier endlose nächtliche Reise gen Süden durch Europa, übers Mittelmeer und ins Herz von Afrika. Sie flog nach Harare in Zimbabwe. Von dort aus musste sie einen kurzen Inlandsflug nach Victoria Falls nehmen, der kleinen, von Touristen überlaufenen Grenzstadt an den Fällen.
Im Hotel schlief sie erst einmal zwölf Stunden.
Am nächsten Morgen brachte ein Bootstrap-Fahrer sie über die Fälle und schleuste sie durch eine operettenhafte Passkontrolle nach Sambia.
Der Mann, mit dem sie sich treffen wollte, wartete an der Passkontrolle. Er war der Lehrer, der den Jungen an die Milton-Stiftung gemeldet hatte. Er trat zögernd näher und streckte die Hand aus. »Ms. Stoney. Ich bin Stef Younger …« Er war klein und stämmig. Bekleidet war er im Safari-Stil mit einem schlabbrigen Hemd und Shorts mit tiefen, ausgebeulten Taschen. Er war bestimmt nicht älter als dreißig; das Haar lichtete sich bereits, und die von 106
der Wintersonne gerötete Kopfhaut war mit Schweißperlen übersät.
Er stammte offensichtlich aus dem südlichen Afrika, wahrscheinlich aus Zimbabwe oder Südafrika selbst. Beim Klang des pronon-cierten Akzents, der die Erinnerung an eine albtraumhafte Vergangenheit heraufbeschwor, bekam sie eine
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