Das Multiversum 1 Zeit
diesem Grund rühren die Weltraum-Junkies auch seit Jahren die Trommel für die NEOs. Aber die wenigsten verstehen etwas von den energetischen Voraussetzungen. Ja, wenn man es nur unter dem Blickwinkel der Delta-Vau betrachtet und nur die Energie zuführt, die für die Überwindung der Gravitations-Quelle notwendig ist, dann gibt es viele Orte, die leichter zu erreichen sind als der Mond. Aber diese Betrachtung ist zu oberflächlich. Der NEO-Orbit muss sehr dicht zum Erdorbit verlaufen: in derselben Ebene, annähernd kreisförmig und mit fast dem gleichen Radius. Reinmuths Orbit verläuft dicht zum Erdorbit. Das bedeutet natürlich, dass Reinmuth nicht sehr oft für ›Energiespar‹-Missionen zu erreichen ist; die Orbits sind wie zwei Uhren, deren Gang leicht voneinander abweicht…«
»Dann sagen Sie mir«, verlangte Malenfant, »aus welchem Grund Cruithne so problematisch ist.«
George zählte die Probleme an den Fingern ab. »Cruithne weicht um zwanzig Grad von der Ebene der Ekliptik ab. Ebenen-Änderungen sind sehr energieaufwendig. Genau deshalb sind die Jungs 136
von Apollo nämlich in der Nähe des Mondäquators gelandet.
Zweitens. Cruithnes Orbit ist sehr exzentrisch. Deshalb scheiden die niederenergetischen Hohmann-Bahnen aus, mit denen wir von einem kreisförmigen Orbit in den anderen gehen – zum Beispiel beim Flug von der Erde zum Mars. Wechsel in elliptische Orbits sind energieaufwendig. Drittens …«
Malenfant hörte sich die ganze Liste an.
»Sie haben das Problem also geschildert«, sagte Malenfant geduldig. »Und nun sagen Sie mir, wie es zu lösen ist.«
Es folgte ein Schwall von Fachausdrücken und Behauptungen der Unmöglichkeit, den Malenfant unbeeindruckt über sich ergehen ließ.
Und dann ging es zur Sache.
George wartete mit Massenparametern für den BDB und seine Nutzlast auf, skizzierte die Geschwindigkeitsänderungen, die er durchführen müsste, um Cruithne zu erreichen, die geringe Ma-növrierfähigkeit, die ihm noch verbleiben würde und die im Vergleich zu Reinmuth geringe Nutzlast, die er befördern könne.
Dann bestellte er eine Gruppe Techniker ein, die sich zunächst genauso skeptisch äußerten wie er und von denen die meisten schließlich doch eine Lösung parat hatten. Sie riefen Dan Ystebo in Key Largo an und fragten ihn, wie viel Raum sein Tintenfisch mindestens zum Überleben brauchte. Dan reagierte empört, wartete aber mit Antworten auf.
Das dauerte fast den ganzen Tag. Quälend langsam schälte sich ein neues Missions-Design heraus. Malenfant musste nur dasitzen und es geschehen lassen – und er wusste, dass es klappen würde.
Ein Problem gab es aber doch.
Der aktuelle Raumschiffs-Entwurf umfasste genügend Lebenserhaltungssysteme für Sheena 5, um Reinmuth zu erreichen, ihre Arbeit dort zu unterstützen und sie wieder nach Hause zu bringen: 137
Sie sollte hinter einem riesigen Hitzeschild aus Asteroidenschlacke in die Erdatmosphäre eintreten.
Aber es bestand keine Möglichkeit, eine vergleichbare Mission zu Cruithne durchzuführen.
Dennoch gab es einen Weg, das Hauptziel der Mission zu erreichen. Es wäre sogar möglich, Sheena noch viel schneller zu Cruithne zu befördern. Indem ihre Lebenserhaltung reduziert und alles auf dem Hinweg verbrannt wurde. Sheena hätte nur eine ›einfache Fahrt‹ zu Cruithne.
Emma Stoney:
Aus Emmas Perspektive, die im Büro in Vegas saß, schien alles den Bach runterzugehen.
Die Juristen kreisten wie die Geier über Malenfant und seinen Spielzeug-Raumschiffen, und die Investoren, die von den Gerüchten über Malenfants Verstrickung mit bizarren Esoterik-Typen ver-unsichert waren, zogen sich bereits aus dem Projekt zurück.
Wenn Malenfant mehr Präsenz in der Öffentlichkeit gezeigt und um Vertrauen geworben hätte, dann hätte es vielleicht anders ausgesehen. Aber das tat er nicht. Über Weihnachten und bis ins neue Jahr hinein hockte er mit Cornelius Taine zusammen oder ver-schanzte sich auf dem Raketentestglände.
Emma hatte das Gefühl, dass die Lage sich zuspitzte. Und Malenfant wollte noch immer nicht auf sie hören.
Also fuhr Emma in die Mojave-Wüste.
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Emma verbrachte die Nacht in einem Motel in der Stadt Mojave.
Sie fühlte sich ausgesprochen unwohl und schlief schlecht.
Ihr Transportmittel traf noch vor der Morgendämmerung ein.
Es war ein Armee-Bus. Sie stieg ein und wurde von George Hench begrüßt. Er hatte eine Thermoskanne mit Kaffee und ein Brötchen dabei. »Frühstück«, sagte er. Sie
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