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Das Multiversum Omnibus

Das Multiversum Omnibus

Titel: Das Multiversum Omnibus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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– das Rascheln eines Reptils, das Zirpen eines Insekts, die Art und Weise, wie das Sonnenlicht auf ein Blatt fiel – sie unerklärlicherweise an ihn erinnerte.
    Sie wusste, dass sie trauerte. Sie hatte das schon bei anderen gesehen und kannte die Symptome. Es lag weniger daran, dass sie versucht hätte, trotz der Trauer zu funktionieren. Vielmehr, so sagte sie sich, beschäftigte dieses unglaubliche Projekt der Kontaktaufnahme mit dem Homo superior sie an der Oberfläche des Bewusstseins, während die dunkleren Strömungen darunter sich vermischten und verschmolzen. Eine selbtverordnete Therapie.
    Die Hams schienen die Trauer zu verstehen. Das sollten sie auch, sagte sie sich düster; ihr Leben war schließlich härter als das aller Menschen, die sie je gekannt hatte – ein kurzes Leben, von Verlust und Schmerz geprägt. Aber sie versuchten nicht, sie zu beruhigen oder gar aufzuheitern – Gott behüte!
    Es gibt keinen Trost, schienen sie ihr sagen zu wollen. Die Hams hatten keine Illusion eines Lebens nach dem Tod, der Erlösung und Hoffnung. Dadurch wirkten sie auf eine gewisse Art viel reifer, weiser und gelassener als die der Selbsttäuschung erlegenen Eintagsfliegen-Menschen, und sie schienen etwas von dieser Stärke auf Emma zu übertragen.
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    Also hielt sie durch, Tag für Tag, Schritt für Schritt und näherte sich dem Ursprung dieser Schlange aus gezwirbelter Luft.
    Es überraschte sie nicht im Geringsten, als die Hams mit der Akkuratesse von Landvermessern die Wüste hinter sich ließen und schnurstracks in eine bewohnte Siedlung marschierten. Es war ein Höhlensystem, das in den anscheinend aus Sandstein bestehenden erodierten Ringwall von etwas gehauen war, bei dem es sich um einen breiten Krater zu handeln schien. Die oberen Hänge waren mit spärlichen robusten Gräsern oder Heidekraut bewachsen, aber die geschützten unteren Abschnitte waren bewaldet. Und der Krater war der Ursprung dieses großen gefangenen Tornados, der unablässig heulte, als sehne er sich nach Freiheit.
    Beim Näherkommen machte sie die massigen Gestalten von Hams aus, die in die typischen Tierhäute gehüllt Höhlen betraten und verließen, die hoch über der Ebene verstreut waren.
    Emma erkannte die Vorzüge dieses Standorts. Die Höhlen-Öffnungen wiesen hauptsächlich gen Norden, so dass sie das einfal-lende Sonnenlicht optimal ausnutzten und vor den vorherrschenden Winden geschützt waren. Sie vermutete, dass die erhöhte Position der Höhlen ein weiterer Vorteil war. Vielleicht verliefen hier Wanderwege von Tierherden. Hams zogen es vor, möglichst kurze Wege zur Nahrungssuche zurückzulegen. Sie mussten nur in ihren Höhlen hocken, die zerklüftete Landschaft um den Krater im Au-ge behalten und darauf warten, dass die Nahrung ihnen entgegenkam.
    Aber diese ominöse Wind-Schlange schraubte sich über ihren Köpfen in den Himmel und erfüllte die Luft mit ihrem Lärm – auch wenn sie kein einziges Staubkorn aufwirbelte. Man hätte eigentlich meinen sollen, dass die Hams sich dadurch beeinträchtigt fühlten. Aber sie erkannte keinen Hinweis darauf.
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    Emma und ihre Begleiter gingen zum Fuß der Kraterwand und machten sich an den Aufstieg. Die Erwachsenen registrierten ihre Annäherung und wandten sich dann desinteressiert ab.
    Die erste Person, die sich für sie interessierte, war ein Kind: Ein splitternacktes, speckiges Bündel aus Muskeln und Fett, das nicht älter als drei Jahre war und einen Finger im großen Nasenloch stecken hatte. Dieser kleine Junge starrte Emma unverwandt an und lief ihr nach, allerdings mit einem Sicherheitsabstand von einem Meter oder so; wenn sie sich ihm zu nähern versuchte, wich er sofort zurück, bis der alte Abstand wiederhergestellt war. Ham-Kinder hatten viel mehr Ähnlichkeit mit Menschenkindern als die erwachsenen Pendants miteinander. Aber Ham-Kinder wuchsen schnell heran; bald verloren sie die unbefangene Neugier der Jugend und fielen in die behagliche Lethargie der Erwachsenen.
    Sie trat in den Eingang der größten Höhle. Das Tosen des Tornados wurde sofort gemildert. Emma hatte die Sonne im Rücken und schaute angestrengt ins Dämmerlicht.
    Die Wände waren erodiert und glatt, als ob sie mit Butter bestrichen worden wären. Es stank nach Fleisch, das in Form von Keulen und Häuten an der Rückwand der Höhle gelagert wurde.
    Sie sah, dass dieser Ort nicht der Bequemlichkeit von Leuten diente; die Decke war stellenweise so niedrig, dass die Hams sich ducken mussten, um nicht

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