Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
kugelrund. Sie schien gar nicht zu bemerken, dass ihre
Gesprächspartnerin kurz angebunden war und offensichtlich keine Lust verspürte,
sich zu unterhalten.
„Ritter Conrad täte mir schon gefallen“, schwärmte die Zofe
und verdrehte die Augen. „Er hat mir heute zugelächelt“, ergänzte sie mit
verklärtem Blick.
„Er lächelt jedem freundlich zu“, erwiderte Line
konsterniert. Was hielte wohl Constance von der Schwärmerei ihrer Zofe für
Conrad, wenn sie davon wüsste?
Anna verzog das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone
gebissen.
Im Stillen musste Line der Zofe Recht geben. In seinen schmucken
neuen Kleidern und mit den inzwischen nachgewachsenen lockigen blonden Haaren
sah er wirklich schmuck aus, dachte sie. Welches Mädchen würde nicht für ihn
schwärmen.
Plötzlich tauchte ein anderes Bild vor ihrem inneren Auge
auf. Sie sah ihn vor der kleinen Hütte am Brunnen stehen, beobachtete das Spiel
seiner Muskeln und sah seine nackte Haut in den Sonnenstrahlen schimmern.
Damals war er ihr noch viel anziehender erschienen – und er war ihr näher
gewesen, dachte sie bitter. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen.
„Aber der andere sieht zum Fürchten aus“, plapperte ihre
Begleiterin munter weiter, womit sie natürlich Sven meinte.
„Das ist er auch“, bestätigte Line, „aber nur für seine
Feinde.“
Langsam wurde die Zofe ihr lästig. Ihr kam eine Idee. Sie
setzte sich auf eine Bank im Burghof und seufzte.
„Ich glaube nicht, dass ich heute den Lärm und die Gerüche
in der Halle ertragen kann“, sagte sie wie zu sich selbst und dann an das
Mädchen gewandt: „Kannst du mir etwas zu Essen auf mein Zimmer bringen lassen,
Anna?“
Das Mädchen machte ein Gesicht, als wäre es weit unter ihrer
Würde, sie zu bedienen, rang sich dann aber zu der Antwort durch: „Ich werde in
der Küche Bescheid sagen.“ Schließlich stand dieses Weib – zumindest momentan -
in der Gunst ihrer Herrin.
Line tat, als hätte sie den Unwillen der Zofe nicht bemerkt
und dankte ihr. Dann bat sie Anna, ihrer Herrin auszurichten, sie hätte sich
wieder hingelegt, weil sie sich noch sehr schwach fühle.
„Ich werde es ausrichten“, versprach die Zofe mit frostiger
Stimme. Danach begleitete sie Line unwillig in ihr Zimmer zurück.
Es konnte nicht schaden, wenn sie zumindest etwas
Verpflegung mitnahm, hatte Line sich überlegt. Das war besser, als mit
hungrigem Magen Hals über Kopf zu verschwinden. Für eine Nacht gab ihr sicher jeder
anständige Christenmensch Unterschlupf. Dann würde sie weitersehen. Es musste
möglich sein, eine Anstellung als Magd auf einem Hof oder in einer
Gastwirtschaft zu finden. Auch ihre Heilkünste würden ihr helfen zu überleben und
vielleicht konnte sie sich damit sogar ein bescheidenes Einkommen sichern.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und eine ältere,
knochige Magd brachte mit unbewegter Miene ein großes Tablett mit verführerisch
duftenden Speisen herein. Dann verschwand sie fast lautlos mit einem
angedeuteten Knicks.
Line fühlte sich wie im Schlaraffenland. Sie aß so viel sie
konnte und packte einen Teil des Restes in ihre Tasche. Zumindest die ersten
beiden Tage brauchte sie nicht zu hungern. Erneut stahl sie sich aus dem
Zimmer. Jetzt kannte sie sich bereits besser aus und erreichte unbehelligt den
Hof, überquerte ihn und schritt durch die offene kleine Seitentür im Tor in den
Vorhof der Burg.
*
Zur gleichen Zeit, als sich Line auf ihre Flucht
vorbereitete, saßen Sven und Conrad an der Tafel des Burgherrn und ließen sich
die aufgetischten Köstlichkeiten schmecken.
Sie saßen auf rohen Holzbänken, die zum Teil mit Kissen
belegt waren. Die einzigen gepolsterten und mit Schnitzereien verzierten Stühle
mit Armlehnen und hohen Lehnen waren dem Herrn von Breuberg und seiner Gemahlin
vorbehalten.
Constance erzählte, Line wäre aufgewacht und es ginge ihr
gut, aber da sie noch schwach wäre von den Anstrengungen und Entbehrungen der
langen Reise, hätte sie in ihrer Kammer gegessen und sich dann schlafen gelegt.
Dabei klang sie leicht vorwurfsvoll, da die Männer ihrer
Meinung nach zu wenig Rücksicht auf die Mädchen genommen hatten.
Dann vertiefte sie sich in ein angeregtes Gespräch mit ihrer
Base, der Burgherrin Agnes.
Der Burgherr wandte sich jetzt Conrad zu und wollte wissen,
wie es ihm ergangen war und vor allem, wie er den Angriff der Wegelagerer
überleben konnte, bei dem er einem Augenzeugen zufolge angeblich zu
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