Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
ihr und eilte in Richtung
Burgtor. Wie erstarrt blieb Antonia zurück und sah ihr nach. Sie spürte einen
Kloß im Hals und wollte ihr nachlaufen, sie zurückholen. Doch sie tat es nicht.
Ihr erster Gedanke war, zu dem jungen Ritter zu laufen,
damit Conrad sie zur Vernunft brachte. Aber der war sturzbetrunken und war
sicher vor dem Morgengrauen, vielleicht sogar vor dem Mittag des nächsten
Tages, nicht ansprechbar.
Sollte sie Ritter Sven informieren? Sie verwarf den
Gedanken, denn auch der war nicht viel nüchterner, außerdem verschwand Line
bereits durch das Tor in die Dunkelheit, nachdem sie kurz mit dem Torwächter
gesprochen hatte.
Erst nachdem der alte Jacob das Mädchen durch das kleine, in
das Burgtor eingelassene Türchen ins Freie gelassen hatte, wurde der Wächter
stutzig.
Sie hatte ihm erzählt, sie wäre als Wehmutter zu einer
Gebärenden in Breuberg gerufen worden. Dabei war sie sehr überzeugend
aufgetreten.
Aber jetzt fiel dem Wächter ein, dass dieses Mädchen erst
heute auf der Burg angekommen war. Ihrem Dialekt nach kam sie nicht aus dieser
Gegend. Wer sollte sie gerufen haben? Wer wusste überhaupt, dass sie eine
Heilkundige war?
Abgesehen davon war es nicht üblich, als Frau ohne
Begleitung in die Stadt zu gehen, dazu noch zu so später Stunde.
„Heh!“, rief er ihr nach, „bleib stehen!“ Aber seine Worte
wurden vom Wind davon getragen und die sich schnell entfernende Gestalt schien
ihn nicht mehr zu hören.
Beherzt schritt sie in die anbrechende Nacht hinaus und
verschwand im nächsten Augenblick aus seinem Gesichtsfeld. Jacob zuckte mit den
Schultern und ließ sie ziehen.
Ein leichter Nieselregen setzte ein und der Alte machte,
dass er wieder unter den schützenden Torbogen kam. Dann griff er unter seinen
Mantel und holte einen kleinen Krug Branntwein hervor. Den Waffenknechten auf
dem Torhaus rief er zu, sie sollten die Zugbrücke hochziehen, wie sie es
zurzeit jeden Abend taten.
Knarrend und ächzend hob sich die schwere hölzerne Zugbrücke
und verschloss den Torbogen. Jacob löschte die Fackeln im Torbau, schloss von
innen die beiden Flügel des Tores und legte den Riegel vor. Dann zog er sich
vor dem Nieselregen in die Wächterstube im Torhaus zurück.
An das junge Mädchen verschwendete er keinen weiteren
Gedanken mehr. Was ging es ihn an.
II
Der Nachtwächter
Neblungmond Anno 1229
Erst am Nachmittag erwachte Conrad mit einem mächtigen
Brummschädel. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wie er in sein Bett
gelangt war. Als er sich aufrichtete, stellte er fest, dass man ihm den
Gambeson und die Stiefel ausgezogen hatte. Sein Schwertgehänge lehnte an der
Wand neben dem Bett, wie immer griffbereit.
Auf dem Waschtisch stand ein Krug mit Wasser bereit. Conrad
goss einen Teil des Wassers in die Waschschüssel, wusch sich Hände und Gesicht
und schüttete sich zuletzt den restlichen Inhalt des Kruges über den Kopf.
Danach fühlte er sich etwas besser. Mit dem bereit liegenden Leinentuch
trocknete er sich ab. Dann stieg er in seine Stiefel und zog den Gambeson an.
Automatisch legte er das Schwertgehänge um, ebenfalls ein Geschenk des
dankbaren Aschaffenburger Kaufmanns.
Noch etwas benebelt trat er auf den Gang, wo er auf Antonia
stieß. Das Mädchen blickte ziemlich betreten drein. Es war ihr anzusehen, dass
ihr etwas auf der Seele lag.
„Was ist los?“, sprach er sie alarmiert an.
„Es… äh, geht um Line, Herr“, begann sie stockend.
„Was ist mit Line?“, Conrad war sofort stocknüchtern und
hellwach.
„Sie ist weg“, Antonia senkte den Kopf und wagte nicht, ihn
anzusehen.
„Wie weg…?“
„Wer ist weg?“, tönte es hinter ihm. Sven war auf dem Gang
aufgetaucht und hatte nur die letzten Worte gehört. Er schien noch etwas
benommen und rieb sich die Stirn.
„Line. Sie ist fort gegangen und kommt nicht wieder“, sagte
Antonia hilflos. „Gestern Nacht.“
Dann erzählte sie wortwörtlich, was Line ihr aufgetragen hatte.
Conrad war völlig fassungslos. Er konnte keinen klaren
Gedanken fassen. Von allem, was Antonia ihm von Line mitgeteilt hatte, brannte
sich ein Satz in seinem Gedächtnis fest. Sie hat mich nie geliebt ,
dachte er niedergeschlagen. Wie ein geprügelter Hund ging er davon.
Sven polterte Antonia an. „Und du hast sie einfach gehen
lassen?“
Das Mädchen schrumpfte förmlich in sich zusammen. „Ich
konnte doch nichts tun, sie ist einfach davon gelaufen.“ Tränen liefen ihr über
die Wangen. „Vielleicht
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