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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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war beklemmend. Soeben war eine ernste Verschwörung der Spanier gegen die Krone entdeckt worden, und man hatte die französischen Komplizen erhängt. Einer von ihnen war ein großer Freund der Starken Geister: der berühmte De Thou, ein Staatsrat. Die Luft der Freiheit, die man noch vor wenigen Jahren geatmet hatte, war dahin, die Unbekümmertheit, mit der die Starken Geister in ihren Salons diskutieren konnten, war verschwunden, dies war keine Zeit mehr, in der alles möglich schien.
    Angesichts der Gefahr eines Staatsstreiches toleriert die Regierung der Krone allzu freizügige Versammlungen nicht mehr. Im Salon der Du Puy erscheinen zusehends weniger Besucher. Pater Gaffarel, ein Freund der
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und ein berühmter Orientalist, sagt in seinen Predigten ein Wort zu viel und wird angeklagt, die offizielle Lehre zu beleidigen. Luillier, ebenfalls einer der Starken Geister und ein großer Liebhaber geistreicher, gelehrter Konversation, der mit dem soeben hingerichteten De Thou befreundet war, sieht dunkle Zeiten voraus.
    Alle erinnern sich an das Wort von Peiresc, dem Meister der Meister, der ebenfalls vor kurzem gestorben ist: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.
    »Und auch meine Tetrade fand ich verändert vor«, berichtete Naudé. »Elia Diodati hatte beschlossen, auszuscheiden. Er hatte sich verändert, brachte uns nicht mehr, wie früher, interessante Nachrichten von seinen Kontakten in anderen Städten, half nicht mehr, ermunterte nicht mehr. Er wurde unschlüssig, finster, langweilig. Er war unser überdrüssig. Ich glaube nicht, dass er Angst hatte. Aber er erklärte nichts, sondern schloss sich durch sein Verhalten von selbst aus. Was wir dachten, war ihm egal, also war es ihm auch schon früher egal gewesen. Wir drei, der gute Gassendi, La Mothe und ich waren sprachlos. Hatte Elia sich also schon immer verstellt? Er hätte etwas mehr Ehrgefühl zeigen können!«
    Nachdem Diodati aus dem Bund ausgeschieden war, suchte die Tetrade |508| nach einem Ersatz. Man fand ihn in Guy Patin, einem literaturbegeisterten Arzt, der behauptete, die alten wie die neuen Bigotten zu verachten. Aber er war kein guter Ersatz.
    »Ihm fehlte Elias Talent, seine Gewandtheit, sein … wie soll ich sagen? Sein Geheimnis.«
    Naudé hatte Zögern vorgetäuscht, um diesem Wort besonderes Gewicht zu verleihen.
    »Ein Geheimnis?«, fragtest du.
    »Ach, junger Atto Melani, es gibt Dinge, die Ihr, bei allem Respekt, erst eines späteren Tages erfahren werdet. Einstweilen müsst Ihr Euch mit meiner groben Rede begnügen«, sagte Gabriel Naudé, um sich dann doch mit einer so feinen Zunge zu erklären, dass man sie für die einer Schlange hätte halten können.
    Elia Diodatis Herkunft war einerseits genau bekannt, andererseits höchst geheimnisvoll. Man wusste, dass er aus Lucca stammte, Italienisch war seine Muttersprache, Französisch benutzte er für Geschäfte, Deutsch für Studien. Das Triptychon der drei gelehrten Sprachen, Latein, Griechisch und Hebräisch, beherrschte er perfekt. Man wusste um seine reiche Familie, eine Kaufmannssippe, verwandt mit anderen, ebenso reichen italienischen Kaufleuten wie den Calandranini, den Burlamacchi, den Balbanin, den Turrettini und Mazarins Bankiers Cantarini und Cenami, außerdem niemand Geringerem als Michele Particelli, dem Generalinspekteur der französischen Finanzen und rechten Arm Mazarins. Alles Namen, die beim bloßen Aussprechen den Geschmack von Gold auf der Zunge hinterlassen.
    Das erste Geheimnis war, dass sie allesamt Calvinisten waren. In Italien hatten die von Luther und Calvin reformierten Konfessionen kaum Fuß gefasst, doch in dem toskanischen Städtchen Lucca hatte das Unkraut der Ketzerei aus unerfindlichen Gründen feste Wurzeln geschlagen. Da es unmöglich war, mit dem weit mächtigeren nahen Kirchenstaat zusammenzuleben, und da sie Untertanen des ebenfalls katholischen Großherzogs der Toskana waren, hatten die Calvinisten aus Lucca ihr Glück schon immer außerhalb Italiens gesucht. So auch Elias Familie, die sich im erzcalvinistischen Genf niedergelassen hatte. Gerne gaben sie sich jüdische Namen: Abraham, Isaak, David, Rachel, Judith und Susanne (so hießen zwei Schwestern von Elia). Von Genf aus hatten sie ihre Zweige in alle Richtungen ausgestreckt: Die Diodatis waren Richter in Paris, Händler in London, Finanziers in |509| Amsterdam und Theologen in Antwerpen geworden. Ihr Netz erstreckte sich weit und konnte überall hingelangen. Jeder von ihnen hatte überall

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