Das Nest des Teufels (German Edition)
nach Finnland zurückgekehrt war, hatte ich mich ernsthaft im alpinen Skilauf geübt, doch ich konnte die Kurven immer noch nicht so geschmeidig nehmen wie meine Klienten, die von Kindesbeinen an trainiert hatten. Auch im Tennis war ich meist die Schwächere. Meine Fähigkeiten im Judo führte ich meinen Auftraggebern dagegen nicht gern vor, obwohl ich sie natürlich im Vorstellungsgespräch erwähnte. Einmal hatte ich sie allerdings gegen den Mann meiner damaligen Klientin anwenden müssen. Er hatte innerhalb von zehn Sekunden auf dem Teppich gelegen.
Julias Handy klingelte. Sie kramte in ihrer Handtasche. Das Telefon war mit einer Diamantenkette an der Tasche befestigt. Ich warnte meine Auftraggeber immer davor, ihren Reichtum zur Schau zu stellen, doch Julia hatte erstaunt die Augen aufgerissen.
«Was hat man denn davon, reich zu sein, wenn man es nicht zeigen darf?»
Meine vorige Auftraggeberin, Monika von Hertzen, war in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil, sie schämte sich ihres Wohlstands und bemühte sich, auch andere daran teilhaben zu lassen. Julia dagegen hatte eine Grimasse geschnitten, als Syrjänen sie halb mit Gewalt zu einer Benefizgala geschleppt hatte. Zum Glück hatte sie dort wenigstens ihren Schmuck vorführen können.
«Papa?»
Julia sprach aufgekratzt Russisch. «
Potschemu?
O.K.» Über ihr Gesicht flog ein echtes Lächeln, eine Seltenheit bei ihr. Als ehemaliges Fotomodell verstand sie sich natürlich darauf, ihr Lächeln anzuknipsen, wann immer sie wollte, doch das war nur ein Profilächeln. Die Miene, die sie jetzt aufgesetzt hatte, war nicht für mich bestimmt – Julia wandte das Gesicht ab.
«In Genf herrscht Verkehrsstau, Vater wird sich ein bisschen verspäten», erklärte sie, nachdem das Telefonat beendet war, und trank wieder einen kleinen Schluck Mojito. Am Glasrand blieb ein glitzernder rosa Streifen zurück.
«Triffst du dich hier mit deinem Vater?»
Über ihre Familie hatte Julia mir nur erzählt, dass ihre Mutter schon lange tot war und dass sie keine Geschwister hatte. Bisher hatte ich angenommen, sie habe ein distanziertes Verhältnis zu ihrem Vater, denn zur Verlobungsfeier, die Syrjänen in einem Trendrestaurant in Helsinki ausgerichtet hatte, war er nicht gekommen.
«Mein Vater ist sehr beschäftigt. Aber jetzt hat er gerade Zeit für eine Stippvisite in der Schweiz.»
«Wohnt er in Moskau?»
«Nein, am Rand von Witebsk. Ich begreife nicht, warum er dieses Kaff Moskau vorzieht, aber er sagt, seine Geschäfte machen es notwendig.» Auf diese Erklärung folgte das typische Schulterzucken, das besagte, damit sei die Sache erledigt.
In der Bar war es bisher still gewesen, doch nun trat eine After-Ski-Gruppe von etwa zehn Männern ein, die Französisch miteinander sprachen. Sie waren deutlich jünger als Julia, die dennoch sofort die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog. Den zierlichen Körperbau und die langen Beine verdankte Julia ihren Genen, ebenso die auffällig dunkelbraunen Augen, die von dauergewellten Wimpern betont wurden. Bei den goldblonden Haaren, den vollen Lippen und den Brüsten, die D-Körbchen füllten, hatte sie der Natur nachgeholfen, und sie trainierte eifrig, um ihren Körper in Form zu halten. Julia verhüllte ihre Reize nicht, sondern bevorzugte enganliegende Kleider und hochhackige Schuhe, in denen sie ihren Verlobten Usko Syrjänen überragte.
Obwohl ich nicht damit rechnete, dass die jungen Männer uns Ärger machen würden, rückte ich meinen Stuhl so zurecht, dass ich sowohl den Eingang als auch den Tisch, an den sie sich setzten, im Auge behalten konnte. Julia verstand sich darauf, unmissverständlich zu zeigen, dass sie keinen Wert auf Gesellschaft legte. Beinahe bewunderte ich die Eiseskälte, die sich dann über ihr Gesicht legte und selbst den hartnäckigsten Verehrer abschreckte. Syrjänens Haushälterin Hanna und ich ließen uns von diesem Blick nicht einschüchtern, aber Juri Trankow fürchtete sich vor Julia.
Wie ich zu Juri stand, konnte ich nicht genau sagen. Ich war ein paarmal mit ihm im Bett gelandet, und er hatte mir das Leben gerettet, obwohl ich ihn zu Beginn unserer Bekanntschaft gründlich gedemütigt hatte. Der Mord, den er begangen hatte, verband uns, wir waren Teil eines Geheimbundes, zu dem als Dritter Hauptmeister Teppo Laitio von der Auslandsabteilung der Zentralkripo gehörte. Laitio hatte die Tat auf seine Kappe genommen. Die Situation war so verworren gewesen, dass jeder der vier Menschen, die sich auf
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