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Das Nest des Teufels (German Edition)

Das Nest des Teufels (German Edition)

Titel: Das Nest des Teufels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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in der Bar sei miserabel. Ich hatte mich so an die Nörgeleien gewöhnt, dass ich in Gedanken eine Wette darauf abgeschlossen hatte, worüber sie als Nächstes meckern würde. Wahrscheinlich über das zu schwache Gebläse des Föhns. Ich hatte die Notausgänge überprüft und ein mit Kletterhaken versehenes Bergsteigerseil auf dem Balkon deponiert, damit wir das Hotel notfalls auf diesem Weg verlassen konnten. Statt in der lärmenden Bar zu sitzen, hätte ich lieber vom Balkon aus zugeschaut, wie die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwanden, aber Dienst war Dienst.
    Der Kellner brachte unsere Getränke und sagte, die Herren an der Theke würden sie uns gern spendieren.
    «Möchtest du Gesellschaft?», fragte ich Julia.
    «Absolut nicht.»
    «Dann lehnen wir dankend ab.»
    Julia zuckte wieder die Schultern und betrachtete die jungen Männer. «Das sind noch halbe Kinder, die interessieren mich nicht. Und wenn sie Ärger machen, wirst du schon mit ihnen fertig. Also los, zahl die Getränke.»
    Ich reichte dem Kellner, der unser Gespräch mit angehört hatte, die Visa-Karte von Syrjänens Firma. Die jungen Männer unterhielten sich lachend miteinander. Julia funkelte sie wütend an und kehrte ihnen dann den Rücken zu. Ich hielt ihren Killerblick für effektiver als jede physische Selbstverteidigung. Wenn sie Syrjänen mit diesem Blick bedachte, kroch er vor ihr im Staub wie ein Wurm.
    «Auch große Bosse haben irgendeine Schwäche. So diszipliniert ich sonst bin, nach schönen Frauen bin ich einfach verrückt», hatte Syrjänen in einem Interview gestanden, das aus Anlass seiner Verlobung in einer Boulevardzeitung erschienen war. «Jetzt ist meine Suche endlich beendet. Julia ist alles, was ich mir immer gewünscht habe.»
    In demselben Interview hatte Syrjänen die Finnen kritisiert: Sie seien engstirnig, neidisch und geradezu besessen von dem Drang, alles durch Vorschriften zu regeln. Er fand es absurd, dass er warten musste, bis die Scheidung rechtskräftig war, obwohl er bereits seit anderthalb Jahren von seiner Frau getrennt lebte. Erwachsene Menschen wüssten doch wohl, was sie taten, warum musste man ihnen Vorschriften machen? Dasselbe gelte für das Arbeitszeitgesetz und den Mindestlohn. Davon seien die meisten Menschen ohnehin nicht betroffen. Ich übrigens auch nicht, aber ich hatte nichts dagegen, pausenlos zu schuften, wenn ich gut genug bezahlt wurde.
    Die Tür ging auf, und eine weitere After-Ski-Clique betrat die Bar. Diesmal war es eine gemischte Gruppe, Frauen und Männer. Wieder zog Julia alle Blicke auf sich. In gewisser Weise war es sogar gut, dass sie in ihrem üblichen Outfit Aufsehen erregte. Falls ich sie aus Sicherheitsgründen verstecken musste, würde sie ohne Schmuck und Make-up, mit einer einfachen Wollmütze und in einem billigen Skianzug von niemandem erkannt werden.
    Das Koffein im Espresso zeigte allmählich Wirkung; es würde hoffentlich den Milchsäurepegel in meinen Oberschenkeln senken und die Muskeln für den morgigen Skilauf fit machen. Als Julia sagte, sie gehe zur Toilette, überlegte ich routinemäßig, ob ich sie begleiten oder unsere Getränke bewachen sollte. Ich blieb am Tisch und dachte an Vanamos SMS . Wir hatten abgemacht, dass sie mich in den Osterferien in Helsinki besuchen würde, falls ich es arbeitsmäßig irgendwie einrichten konnte. Mein Verstand erinnerte mich daran, dass es mir schon viermal schlecht ergangen war, wenn ich ein lebendes Wesen ins Herz geschlossen hatte. Mutter, Frida, Onkel Jari, David … Hatte ich nicht genug verloren?
    Julia näherte sich wieder unserem Tisch, blieb aber abrupt stehen, als sie den Mann erblickte, der gerade die Bar betrat. Er war mittelgroß und breitschultrig; allerdings fiel es mir schwer, seinen Körperbau genauer abzuschätzen, denn er war in einen dicken schwarzen Pelzmantel gehüllt, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte. Der Mann nahm die Pelzmütze ab, die aus dem gleichen glänzenden Material bestand, offenbar aus gefärbtem Wolfsfell. Seine braunen Augen schienen die ganze Bar zu überblicken und doch nur eine Person zu sehen: die schöne junge Frau, die jetzt einen Freudenruf ausstieß und sich in seine Arme warf.
    Julia Gerbolt hatte ganz offensichtlich Sehnsucht nach ihrem Vater gehabt.
    Dem Mann im Pelz folgte ein zwei Meter großer Hüne, der die Uniform unseres Berufsstandes und einen Ohrhörer im linken Ohr trug. Ich stand auf, um die Ankömmlinge zu begrüßen, denn hier war ich nicht in erster

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