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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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langer Zeit hatte das einmal etwas Wundervolles bedeutet. Jetzt bedeutete es etwas Trauriges, aber sie wollten mir nie genau sagen, was.
    Früher war die Familie Whitefern die angesehenste Familie in unserem Teil von Virginia gewesen. Aus ihr gingen die Senatoren und Vizepräsidenten hervor. Aber sie hatten uns nicht nur den Neid der Dorfbewohner, sondern auch aller anderen zugezogen; und jetzt wurde die Familie nicht mehr verehrt, ja, nicht einmal mehr respektiert.
    Unser Haus lag fernab von jeglicher Stadt.
    Das Dorf Whitefern war fünfzehn Meilen entfernt und über eine einsame Landstraße zu erreichen, aber wir fuhren nur selten hin. Es war, als wäre vor langer Zeit ein geheimer Krieg erklärt worden, und wir in unserem Schloß (wie Papa es gerne nannte) wurden von den ›Leibeigenen‹ aus dem Flachland gehaßt. Wenn überhaupt irgendeine Stelle in unserer Nähe als ›Hochland‹ bezeichnet werden konnte, dann war es der kleine Hügel, auf dem sich Whitefern erhob.
    Papa mußte zu seinem Börsenmaklerbüro dreißig Meilen fahren. Alle Freunde, die wir hatten, wohnten in der Stadt. Unsere nächsten Nachbarn waren zwölf Meilen entfernt, wenn man über die Straße fuhr. Papa fuhr mit unserem einzigen Wagen zur Arbeit, und so blieben wir anderen ohne Transportmöglichkeit zurück. Immer wieder bedauerte meine Tante Elsbeth, daß sie ihr kleines Auto verkauft hatte, um dafür den Fernseher zu erstehen.
    Meine Tante, die nie verheiratet war, liebte ihren Fernseher mit der 30cm-Bildröhre. Sie erlaubte mir nurselten zuzusehen, aber ihre Tochter Vera konnte sich anschauen, was sie wollte, wenn sie aus der Schule heimkam. Das war auch wieder etwas, was ich nicht verstehen konnte: Warum durfte Vera zur Schule gehen und ich nicht? Für mich war die Schule gefährlich, nicht aber für Vera.
    Natürlich schloß ich daraus, daß mit mir etwas nicht stimmen konnte. Meine Eltern mußten mich verstecken, damit ich sicher war sowohl vor anderen als auch vor mir selbst. Das war der Gedanke, der mir am meisten angst machte.
    Im Alter von sieben Jahren, als andere Kinder in gelbe Schulbusse kletterten und kichernd und scherzend davonfuhren, saß ich am Küchentisch, und meine Mutter versuchte mir Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Sie spielte wunderbar Klavier, hatte aber nicht die Fähigkeit, jemandem etwas beizubringen, außer Klavierspielen. Zum Glück, oder vielleicht auch nicht, war meine Tante Elsbeth da, um zu helfen. Sie war früher einmal Lehrerin gewesen, immer bereit, jeden Jungen zu schlagen, der sie beleidigte. Doch dann war da ein Schlag zuviel gewesen, und die Eltern der Schüler hatten dafür gesorgt, daß meine Tante entlassen wurde. Sie hat noch viele Jahre lang versucht, eine neue Stelle zu finden, aber vergebens. Meine Tante hatte ein feuriges Temperament und eine nervöse Hand.
    Ebenso wie ihre Tochter Vera nutzte auch Tante Elsbeth jede Gelegenheit, unser Leben zu kritisieren. Sie erklärte häufig, daß wir alle genauso ›vorsintflutlich‹ seien wie das Haus, in dem wir lebten.
    In meinen Träumen von zu Hause erhob sich Whitefern hoch und hell vor einem dunklen, stürmischen Himmel, ein erschreckender Anblick. Bei Nacht ängstigte mich das Haus, doch bei Tage hieß es mich mit offenen Armenwillkommen. Ich hatte die Gewohnheit, draußen auf dem Rasen zu sitzen und die Größe Whiteferns zu bewundern. Es sah aus wie ein viktorianisches Hexenhaus mit seinen vielen Schnörkeln, der weißen, abblätternden Farbe und den dunklen, rissigen Fensterläden. Es war drei Stockwerke hoch, hatte einen Dachboden und ein Tiefgeschoß auf der rückwärtigen Seite, dort, wo der riesige Garten sich zum Lyle hin senkte. Wenn ich das Haus so anstarrte, dachte ich, daß ich vieles mit ihm gemein hätte. Wir waren eben beide vorsintflutlich.
    Wir hatten unzählige Fenster, von denen viele mit schönen Butzenscheiben geschmückt waren. Die Schlagläden, die fast schon abfielen, waren so dunkelrot, daß es aus der Ferne fast schwarz aussah, wie getrocknetes Blut. Von außen waren die Balustraden an all den Baikonen, Veranden und Terrassen das Schönste, denn sie waren so gearbeitet, daß sie aussahen wie Farnkraut.
    Genau in der Mitte des dunklen Daches befand sich eine runde Kuppel mit einem Kupferdach, das sich jetzt grün verfärbt hatte. Dieses Dach lief spitz zu, und ganz oben krönte es eine goldene Kugel, deren Goldauflage jedesmal ein wenig dünner wurde, wenn es regnete. Die Kuppel war etwa vierzehn Fuß im

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