Das neue Buch Genesis
unzugänglichsten Stellen des Zauns.
Später berichtete Adam, zuerst habe er geglaubt, er komme zu spät. Das Mädchen hatte sich auf der anderen Seite des Zauns festgeklammert, doch ihr Körper war halb untergetaucht und ihr Kopf auf die Brust gesunken. Er berichtete von dem Moment, als sie aufsah und sich ihre Blicke durch den Maschendraht trafen. Er schilderte, wie er sie durch das Tor zog und sie zum Ufer zurückschleppte. Sie sprach kein Wort, aber angesichts der Tatsache, dass sie nicht im Boot war, wusste er, dass sie ihn verstanden hatte.
Er brachte sie in eine kleine Höhle am Fuße der Klippen, in der er sie sicher verstecken konnte. Er gab ihr einen Rationsriegel von seinem Gürtel und versprach ihr, bald wiederzukommen. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand, und ehe sie die Augen schloss, lächelte sie ihm dankbar zu. Zumindest hat er das so erzählt.
Der Ersatzmann fand ihn schließlich im Schießstand, schluchzend und nass bis auf die Knochen über seinen toten Freund gebeugt. Josephs Ersatz hieß Nathaniel und war ein gutherziger Mann, der kurz vor der Pensionierung stand. Er nahm an, der junge Wachmann wäre an der Ausführung seiner Befehle zerbrochen, und versprach ihm, niemandem etwas von dem zu erzählen, was er gesehen hatte. Adam dankte ihm und hielt weiter Wache.
In der Nacht kehrte er in die Höhle zurück und brachte Wasser, Essen und Decken mit. Bis zum nächsten Abend war das fremde Mädchen schon wieder so weit zu Kräften gekommen, dass es sich aufsetzen und ihm in stockendem Englisch seine Geschichte erzählen konnte.
PRÜFER: Sie haben vorhin erwähnt, es gebe zwei Versionen dieser Geschichte. Erzählen Sie uns mehr über die zweite Variante.
ANAXIMANDER: Die Ermittler haben Adams Geschichte von Anfang an misstraut: seine detaillierten Kenntnisse der Sicherheitsmechanismen und des Geländes, die Geschicklichkeit, mit der er den Ersatzmann zu täuschen vermochte, und die Art und Weise, wie er Joseph manipuliert hatte. Deshalb glaubten einige Ermittler, die gesamte Aktion einschließlich der Ankunft des Mädchens sei von langer Hand geplant gewesen. Die Tatsache, dass die Sicherheitsvorkehrungen unterlaufen worden waren, löste großes Entsetzen aus und ließ die absurdesten Theorien entstehen.
PRÜFER: Die Sie jedoch für unzutreffend halten?
ANAXIMANDER: So ist es.
PRÜFER: Warum?
ANAXIMANDER: Die Geschichte hat uns immer wieder gezeigt, wie sinnlos Verschwörungstheorien sind. Komplexität verursacht Fehler und je mehr Fehler geschehen, desto größer werden unsere Vorbehalte.
PRÜFER: Sie klingen wie Perikles.
ANAXIMANDER: Die Worte mögen von ihm stammen, doch die Gefühle sind meine eigenen. In Adams Fall halte ich es für klüger zu glauben, dass sich alles so abspielte, wie er gesagt hat. Eine einfache menschliche Reaktion auf eine unerwartete Situation. Die Verschwörungstheorie würde nahelegen, dass alles nur so und nicht anders passieren konnte. Dass das gesamte Ereignis im Voraus geplant und bis ins Kleinste überwacht wurde. Doch bei dem Boot handelte es sich um kaum mehr als eine Nussschale. Wie fand es den Weg zu genau dem richtigen Wachturm zur genau richtigen Zeit? Und wie wurden die detaillierten Informationen, die ein solches Unterfangen voraussetzt, jemals übermittelt? Dazu gibt es keinen einzigen vernünftigen Vorschlag. Obwohl die Reaktion der Sicherheitszentrale auf den Vorfall größtenteils festgelegt war, gab es genügend Spielraum für Abweichungen. Je nachdem, wie schnell Ersatzpersonal zur Verfügung stand, konnte es unterschiedlich lange dauern, zu Adams Wachturm zu gelangen. In diesem Fall brauchten sie fünfzehn Minuten, aber es hätte genauso gut auch zwei Minuten oder eine Stunde dauern können. Hätte Adam die Rettung des Mädchens im Voraus geplant, hätte er mit Sicherheit Proviant, Kleidung und Medikamente bereitgestellt. Doch wie wir wissen, erweckte Adam unter anderem dadurch Verdacht, dass er in aller Eile die besagte Ausrüstung zusammenstellte. Nein, ich glaube, es war so, wie Adam gesagt hat. Er sah ihr in die Augen und hatte das Gefühl, handeln zu müssen.
PRÜFER: Und musste er?
ANAXIMANDER: Musste er was?
PRÜFER: Musste er handeln?
ANAXIMANDER: Ich glaube, darüber muss sich jeder Einzelne eine eigene Meinung bilden.
PRÜFER: Eine Fremde kommt aus einem Land, von dem man weiß, dass dort die schlimmste Seuche der Menschheitsgeschichte grassiert. Es gibt strikte Vorschriften, was in einer solchen Situation zu
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