Das neue Philosophenportal
englischen Originaltitel
Against Method
wählte Feyerabend in Anlehnung an den 1964 erschienenen, berühmten Essay
Against Interpretation
der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag, der sich gegen die akademische Interpretationswut richtete und dafür plädierte,
die Kunstwerke selbst sprechen zu lassen.
1970 erschien
Against Method
als größerer Aufsatz in einer amerikanischenFachzeitschrift. Vielfach erweitert und umgearbeitet, sollte die Buchfassung auch die Entgegnungen Lakatos’ enthalten. Doch
dazu kam es nicht, da Lakatos 1974 überraschend starb. So beginnt
Wider den Methodenzwang
mit einen Nachruf auf den Freund und einem Rückblick auf die für Feyerabend typische, chaotische Publikationsgeschichte: »Das
Manuskript meines Teils des Buches«, schreibt Feyerabend, »war im Jahre 1972 beendet, und ich schickte es nach London. Dort
verschwand es auf geheimnisvolle Weise. Imre Lakatos, der dramatische Gesten liebte, verständigte die Interpol, und in der
Tat, die Interpol fand mein Manuskript und schickte es an mich zurück. Ich las es noch einmal und schrieb es zum großen Teil
um. Im Februar des Jahres 1974, nur einige Wochen nachdem ich meine Revision beendet hatte, starb Imre Lakatos. Ich habe dann
meinen Teil ohne seine Antwort publiziert.«
Feyerabend macht seinen Lesern immer wieder klar, dass seine Argumente vor allem einen strategischen Charakter haben. Er bezeichnet
sich selbst daher als »Geheimagenten«, dem es nicht darum geht, neue Wahrheiten zu verkünden, sondern darum, die Position
des alten Rationalismus – wozu er eine lange Reihe von Philosophen, von René Descartes im 17. Jahrhundert bis zu Popper und Lakatos, zählt – zu unterminieren.
Wie Kuhn glaubt auch Feyerabend, dass wissenschaftliche Theorien nicht dann abgelöst werden, wenn sie falsifiziert sind. Keine
einzige Theorie stimme mit allen Tatsachen auf ihrem Gebiet überein. Und viele »alte«, abgelegte Theorien enthielten oft noch
fruchtbare Gedanken, die wieder reaktiviert werden können. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt nach Feyerabend keine lineare
Fortschrittsentwicklung, sondern ist ein höchst komplizierter Prozess, bei dem sowohl Gewinne als auch Verluste anfallen.
Wie kommt es nun dazu, dass eine Theorie als erledigt verworfen und eine neue als besser angenommen wird?
Ausführlich geht Feyerabend dabei auf das Beispiel ein, das auch schon Popper diskutiert hatte: die Ablösung des ptolemäischen
Weltbildes durch das kopernikanische im 15. und 16. Jahrhundert. Wie kam es wirklich dazu, dass die Theorie von der feststehendenErde und der um sie kreisenden Sonne zugunsten der Einsicht preisgegeben wurde, dass die Sonne das Zentrum eines Systems der
Planetenbewegung ist? Anerkanntermaßen spielen dabei die Beobachtungen und Schriften des italienischen Astronomen Galileo
Galilei eine entscheidende Rolle. Galileis 1632 erschienener
Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme
dient Feyerabend als Grundlage für den Nachweis, dass Galilei das neue Weltbild keineswegs rational, sondern mit fragwürdigen
Argumentationstricks an den Mann brachte.
Galilei hatte nämlich gerade das gegen sich, was einem Wissenschaftler als Basis seiner Theorie dienen sollte: den faktischen
Augenschein. Wenn die Erde sich wirklich bewegt, so hatten ihm seine Gegner entgegengehalten, dürfte ein Stein, der von einem
Turm herunterfällt, keine gerade, sondern er müsste eine gekrümmte Flugbahn haben. Dass der Stein aber gerade herunterfällt,
kann jeder sehen. Deshalb kann die Erde sich nicht bewegen.
Galileis Gegner, so Feyerabend, folgen hier einem bestimmten Verständnis von Bewegung. Für sie ist Bewegung immer das, was
vor einem stabilen Hintergrund sichtbar ist: der fallende Stein vor dem Hintergrund des ruhenden Turms oder die laufenden
Rehe vor dem Hintergrund des Waldes.
Galilei führt nun unter der Hand ein anderes Verständnis von Bewegung ein, das der relativen Bewegung. Stellen wir uns vor,
wir sitzen in einem Zug, der in einem Bahnhof steht. Schauen wir links aus dem Fenster, sehen wir einen Bahnsteig. Schauen
wir rechts hinaus, sehen wir einen ebenfalls stehenden Zug. Angenommen, beide Züge fahren gleichzeitig mit gleicher Geschwindigkeit
ab, so sehen wir die Bewegung unseres Zuges nur, wenn wir aus dem linken Fenster schauen. Schauen wir nach rechts, scheint
unser Zug zu stehen. Und er bewegt sich doch.
Nach Galilei ist nur die relative Bewegung
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