Das neue Philosophenportal
»Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie« knüpft er bewusst an
die autoritätskritische Haltung der anarchistischen Tradition an.
Mehr noch als mit dem alten politischen Anarchismus hat dieser erkenntnistheoretische Anarchismus nach Feyerabends eigenen
Worten mit der Kunstrichtung des Dadaismus zu tun. Der Dadaismus hat kein Programm, und er akzeptiert keine Regeln. Er benutzt
dieKunstgeschichte wie einen Steinbruch, aus der er sich Bestandteile herausbricht und mit Hilfe von Collagen neu zusammensetzt.
Er unterminiert jede Absicht, unseren Begriff von Kunst in irgendeiner Weise festzulegen.
Eine solche subversive Haltung nimmt Feyerabend gegenüber der Wissenschaftstheorie ein. Mit ihrer Behauptung, es gebe eine
Methode, mit der der Erkenntnisfortschritt der Wissenschaften sichergestellt werden kann, erweise sie sich als eine »bisher
unbekannte Form des Irrsinns«. Über seinen Aufsatz »Unterwegs zu einer dadaistischen Erkenntnistheorie«, in dem er einige
seiner Grundideen zusammenfasste, stellte er als Motto ein Zitat des Dadaisten Hans Arp: »Der Dadaist lässt den Wissenschaftstheoretiker
Wirrwarr und fernes, jedoch gewaltiges Beben verspüren, sodass seine Glocken zu summen beginnen, seine Theorien die Stirn
runzeln und seine akademischen Ehren fleckig anlaufen.«
Dada Goes Philosophy: Mit
Wider den Methodenzwang
hat Paul Feyerabend das dadaistische Manifest der modernen Philosophie geschrieben. Die Wissenschaft soll von dem Thron gestoßen
werden, auf den sie als angebliche Hüterin der Wahrheit gesetzt wurde. An die Stelle eines von den Autoritäten der Wissenschaftstheorie
abgesegneten und fest abgegrenzten Bereichs der »wissenschaftlichen Methode« soll ein Abenteuerspielplatz verschiedenster
Erkenntnisbemühungen treten, die ihre Inspiration auch aus Kunst, Religion und Mythos beziehen. Die Trennwand zwischen »Rationalität«
und »Irrationalität« soll niedergerissen und die faulen Tricks der angeblich so rational verfahrenden Wissenschaften sollen
aufgedeckt werden. Mit
Wider den Methodenzwang
hat sich Feyerabend als der wichtigste und einflussreichste Nonkonformist in die Geschichte der modernen Philosophie eingeschrieben.
Seine Neigung, aus dem Mainstream auszuscheren, war ihm jedoch keineswegs in die Wiege gelegt worden. Aufgewachsen im Wiener
Kleinbürgertum und – wie er selbst immer wieder betonte – ausgestattet mit einem »großen Maul«, fiel der junge Feyerabend
eher durch sein extrovertiertes Auftreten und durch seine große Begabung als durch Rebellion auf. Auch aus seiner Zeit als
junger Offizierin der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs nahm er zwar eine schwere Kriegsverletzung, aber keine gesellschafts-
oder autoritätskritische Haltung mit. Sein Studium im Wien der Nachkriegsjahre konzentrierte sich auf die Naturwissenschaften,
vor allem auf die Physik und Astronomie, schloss aber auch viele andere Wissensgebiete wie die Geschichtswissenschaft und
die Philosophie ein. Feyerabend war ein vielseitig interessiertes Multitalent.
Eine seiner großen Vorlieben blieb die Musik. In jungen Jahren hatte er eine Gesangsausbildung erhalten, und zeit seines Lebens
besuchte er mit Begeisterung Opern- und Theateraufführungen. Die Kunst und ihre Art, die Welt auf spontane, intuitive und
sinnliche Art zu erfassen, blieb ihm ein Vorbild auch für die Philosophie.
Die philosophische Tradition, die ihn zunächst prägte, war die des Empirismus, also die von John Locke und David Hume im Zeitalter
der Aufklärung geprägte Auffassung, nach der alles Wissen seinen Ursprung in der Erfahrung hat. Im frühen 20. Jahrhundert hatte sich in Wien der sogenannte »Wiener Kreis« gebildet, ein lockerer Zusammenschluss von Philosophen und Naturwissenschaftlern,
die einen modernen Empirismus begründen wollten, indem sie versuchten, die Philosophie von metaphysischer Spekulation zu befreien
und sie methodisch an die Naturwissenschaften und die Mathematik anzuschließen. Seine Vertreter, wie Moritz Schlick und Rudolf
Carnap, propagierten, dass jede Erkenntnis ihr Fundament entweder in der Logik oder in der Beobachtung haben müsse. Von sogenannten
»Protokoll- oder Basissätzen« aus sollten wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten »induktiv«, d. h. durch eine Verallgemeinerung von Einzelbeobachtungen, erschlossen werden.
Feyerabend wurde ein kritischer Empirist, den die Frage, was an der Wissenschaft eigentlich
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