Das neue Philosophenportal
alter durch neue Theorien erfolgt nicht, wie Popper dachte, durch einen Prozess von Vermutung
und Widerlegung, sondern sie ist das Ergebnis kreativer und fantasievoller Strategien.
Feyerabend plädiert für einen Konkurrenzkampf von Methoden und Theorien, der ihn auch über Kuhn hinausführt. Denn dieserhatte trotz allem noch daran festgehalten, dass es so etwas wie Erkenntnisfortschritt in den Wissenschaften gibt, auch wenn
er sich nicht auf rationale Weise einstellt. Wenn aber Theorien »inkommensurabel« sind und ihr Wahrheitsgehalt nicht mehr
verglichen werden kann, wird die Wissenschaftsgeschichte zu einem »stets anwachsenden Meer miteinander unverträglicher Alternativen«,
die zwar unser Bewusstein erweitern helfen, uns aber keiner »Idealtheorie« näher bringen.
Wird aber geleugnet, dass es eine für alle Wissenschaften geltende Methode gibt und wird Wahrheit als Ziel wissenschaftlicher
Forschung fallen gelassen, so ist auch nicht mehr einsehbar, mit welchem Recht Wissenschaft anderen Weltdeutungen, z. B. den Mythen, Märchen oder religiösen Weltdeutungen, vorgezogen werden soll. Der Alleinvertretungsanspruch der Wissenschaft
ist damit nichts anderes als Ideologie.
Im Anschluss an Wittgenstein und Mill gelangt Feyerabend zu einem Pluralismus der verschiedensten Erkenntnisbemühungen und
Weltdeutungen. Es muss jedem selbst überlassen bleiben, welcher Deutung er sich anschließt. Da es auch keine rationalen Argumente
dafür gibt, warum eine Weltdeutung einer anderen vorgezogen werden sollte, ist dieser Pluralismus auch ein Relativismus. Wer
sich einmal, so Feyerabend, von der »Sucht nach geistiger Sicherheit in Form von Klarheit, Präzision, ›Objektivität‹, ›Wahrheit‹«
verabschiedet hat, »der wird einsehen, dass es nur
einen
Grundsatz gibt, der sich unter
allen
Umständen und in allen Stadien der menschlichen Entwicklung vertreten lässt. Es ist der Grundsatz:
Anything Goes
.«
»Anything Goes« – »Alles ist möglich« oder, wie Feyerabend etwas eigenwillig übersetzt: »Tu, was du willst!« ist, so betont
er ausdrücklich, nicht sein eigener Grundsatz. Er ist vielmehr das Ergebnis der Demontage der rationalistischen Wissenschaftstheorie,
der systematischen Zertrümmerung all ihrer Gewissheiten. Er drückt die Einsicht aus, der sich der gescheiterte Rationalist
beugen muss. Feyerabend selbst will überhaupt keine neuen Grundsätze oder Regeln mehr aufstellen. Er verkündet den Abschied
von jeder allgemein gültigen Methode.
Am Ende seines Buches deutet Feyerabend die gesellschaftspolitischen Konsequenzen seiner Position an. Hat die Wissenschaft
ihr Methodenmonopol verloren, so hat sie auch keinen Anspruch mehr, vom Staat in privilegierter Weise gefördert zu werden.
So wie Kirche und Staat getrennt wurden, so müssen auch Wissenschaft und Staat getrennt werden. Die sogenannten »akademischen
Experten« müssen entmachtet und einer demokratischen Kontrolle unterworfen werden. Die Bildungseinrichtungen sollen sich gegenüber
allen möglichen Methoden und Weltdeutungen öffnen, sei es die chinesische Medizin oder die Mythen der Hopi-Indianer. »Wenn
wir die Natur verstehen und unsere materielle Umgebung beherrschen wollen«, so lautet das Fazit Feyerabends, »dann müssen
wir
alle
Ideen,
alle
Methoden verwenden, nicht nur einen kleinen Ausschnitt aus ihnen.«
Obwohl sich namhafte Universitätsverlage um das Manuskript bemüht hatten, veröffentlichte Feyerabend das Buch 1975 in einem
kleinen linken alternativen Verlag, den
New Left Books
. Und dies nicht zufällig. Denn wie kein zweites philosophisches Werk atmet es den bunten Nonkonformismus der 68er, obwohl
es keine marxistische Kapitalismuskritik, sondern eine radikale Wissenschafts- und Vernunftkritik enthält.
Zur Freude seines Verfassers wurde
Wider den Methodenzwang
zu einem publikumswirksamen Event und wirkte in der etablierten Philosophieszene wie eine Stinkbombe. Einige derjenigen Philosophen,
die Feyerabend in früheren Jahren gekannt und geschätzt hatten, betrachteten ihn nun als Scharlatan und wandten sich von ihm
ab. Andere wiesen warnend darauf hin, Feyerabend habe sich ins Lager der Gegenaufklärung begeben. Doch in Wahrheit benutzte
Feyerabend die Pose des Gegenaufklärers nur als Provokation. Er war eher ein radikaler Liberaler, der das urliberale Misstrauen
gegen den Staat auf die bis dahin unangreifbare Institution der Wissenschaft ausgedehnt hatte.
Seine
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