Das neue Philosophenportal
»wissenschaftlich« sei, nie losließ.
In seiner Dissertation
Zur Theorie der Basissätze
, mit der er 1951 bei Victor Kraft, einem ehemaligen Mitglied des Wiener Kreises, promovierte, setzte er sich bereits kritisch
mit der These auseinander, die Basissätze seien das feste, durch Erfahrung verbürgte Fundament der Wissenschaft. Kurz nach
seiner Promotion wechselte er mit einem Stipendium des British Council nach England, wo er sich unter dieFittiche des gebürtigen Wieners Karl Popper begab, der an der London School of Economics lehrte. Popper wurde für Feyerabend
eine entscheidende Figur in seinem philosophischen Werdegang – zunächst als Lehrer und später als philosophischer Gegner.
Popper hatte in den 20er Jahren im Umfeld des Wiener Kreises studiert, war aber bald zu einem seiner schärfsten Kritiker geworden.
In seinem frühen Hauptwerk
Logik der Forschung
(1935) wandte er sich sowohl gegen die Theorie der Basissätze als auch gegen die Auffassung, wissenschaftliche Gesetze würden
durch Induktion gewonnen. Der von ihm begründete Kritische Rationalismus vertrat einen »Fallibilismus«: Wissenschaftliche
Theorien lassen sich von unwissenschaftlichen nur dadurch unterscheiden, dass sie »falsifizierbar« sind, d. h., dass man sie durch die Erfahrung widerlegen kann. Beweisen kann man sie hingegen nie. Sie sind kreative Entwürfe des menschlichen
Geistes und keine Ableitungen aus der Erfahrung. Die rationale wissenschaftliche Methode besteht nach Popper darin, dass man
von einem konkreten Erkenntnisproblem ausgeht, eine Hypothese zu seiner Lösung entwirft und diese Hypothese dann dem Test
der Erfahrung unterzieht.
Für Popper vollzieht sich wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt als stetiger und rational ablaufender Prozess: Eine alte
Theorie gerät in Schwierigkeiten, wenn zunehmend Erfahrungen und Entdeckungen auftauchen, die sie nicht mehr erklären kann.
Häufen sich diese Erfahrungen, gilt sie als falsifiziert. Eine neue Theorie beginnt zunächst mit intelligenten »Vermutungen«
zur Erklärung dieser neuen Erscheinungen. Sie löst die alte dann ab, wenn sie nicht nur diese neuen Erscheinungen erklären
kann, sondern auch all das, was bisher von der alten Theorie befriedigend erklärt worden war. Die neue Theorie baut, bildlich
gesprochen, auf der alten auf: Ihr Erklärungsgehalt umfasst den Erklärungsgehalt der alten und geht darüber hinaus.
Die Wissenschaftsgeschichte ist demnach ein sich ständig korrigierender Reformprozess, in dessen Verlauf die Theorien immer
»wahrheitsähnlicher« werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Ablösung des ptolemäischen Weltbildes, das die Erde in
den Mittelpunktdes Universums stellte, durch das heliozentrische Weltbild des Kopernikus, das besser geeignet war, die beobachteten Planetenbewegungen
zu erklären.
Diese Sicht einer Wissenschaftsgeschichte, die von Falsifizierung zu Falsifizierung fortschreitet und dadurch immer mehr Wahrheit
anhäuft, wurde zu einem Angelpunkt der Feyerabend’schen Kritik an Popper, die sich jedoch erst langsam entwickelte. Bis in
die 60er Jahre blieb Feyerabend ein Anhänger Poppers, ebenso wie viele seiner Freunde und wichtigsten Gesprächspartner. Popper
förderte die Karriere des jungen Wiener Landsmanns. 1953 übersetzte Feyerabend das sozialphilosophische Hauptwerk Poppers
Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
ins Deutsche. Das Angebot, Poppers Assistent zu werden, lehnte er allerdings ab. Als er 1958 schließlich eine Professur in
Berkeley/Kalifornien erhielt, begann er sich philosophisch immer mehr von Popper zu distanzieren.
Die kritische Auseinandersetzung der Popperianer mit ihrem Meister begann mit dem 1962 erschienenen Buch des Amerikaners Thomas
Samuel Kuhn,
Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen
. Kuhn, der Popper 1950 anlässlich einer Gastvorlesung an der Harvard-Universität gehört hatte, bestritt, dass der Wechsel
von einer alten zu einer neuen wissenschaftlichen Theorie rational abläuft. In der Wissenschaftsgeschichte gibt es nach Kuhn
kaum einen Fall, bei dem eine alte Theorie deswegen abgelöst wird, weil sie durch eine neue falsifiziert wird. Vielmehr müsse
man zwei Arten von Wissenschaft unterscheiden: eine »normale« Wissenschaft, die auch dann noch sehr lange routinemäßig an
einem »Paradigma«, einer theoretischen Grundorientierung, festhält, wenn sie durch neue Beobachtungen und Entdeckungen, durch
»Anomalien« in
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