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Das neue Philosophenportal

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Titel: Das neue Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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Problem der »Teilhabe« der Dinge an den Ideen erledigt.
    Der Grund dafür, dass Aristoteles das Wesen eines Dings mit seiner Form identifiziert, liegt in seiner Naturanschauung. Der
     Baum ist dann erst ein richtiger Baum, wenn er ausgewachsen vor uns steht, also seine vollendete Form erreicht hat. Einen
     Baumsamen können wir noch nicht als Baum ernst nehmen. Wir sagen dann höchstens: Das wird erst mal ein Baum. Jeder konkrete
     Baum wird erst durch seine Form erkennbar, die ihn als Baum identifiziert.
    Ebenso ist es mit allen anderen Dingen. Die Substanz als das Wesen eines Dinges zeigt sich in der voll entwickelten Form.
     Jede dieser Formen entfaltet sich nach einem vorgegebenen Muster, nach einem im Ding selbst angelegten Zweck. Der Same eines
     Baums entwickelt sich, wenn wir ihn einpflanzen, zu einem Baum und nicht zu einem Kaktus. Aristoteles hatte also etwas im
     Auge, das wir heute als »genetische Programmierung« bezeichnen würden. Form und Zweck hängen aufs Engste miteinander zusammen.
     Die Form als verwirklichter Zweck ist das, was ein Ding zu dem macht, was es ist. Im Falle des Menschen wird Aristoteles sogar
     sehr konkret: Der Mensch wird erst zum Menschen im eigentlichen Sinne, wenn er den in ihm angelegten Zweck des Menschseins,
     nämlich die Fähigkeit zu rationaler theoretischer Erkenntnis, verwirklicht. Es ist also die Vernunft, die den Menschen zum
     Menschen macht.
    Die Vielfalt der Formen ist somit gleichzeitig eine Vielfalt verwirklichter Zwecke. Die Welt ist für Aristoteles ein Reich
     der Zwecke, ein Universum, in dem Form- bzw. Wesensursachen und Zweckursachen immer wieder Substanzen entstehen lassen und
     in dem sich die Dinge nach Art eines genetischen Codes entwickeln. Abgeleitet von dem griechischen Wort für Zweck, »telos«,
     wird das aristotelische Weltbild deshalb auch als »teleologisches« Weltbild bezeichnet.
    Mit seiner teleologischen Weltdeutung hatte Aristoteles auch den Schlüssel in der Hand, um das zu erklären, was bei Parmenides
     und Platon als Welt des Scheins und der Täuschung links liegen gelassen wurde: die Welt der Veränderung nämlich. Unsere natürliche,
     wahrnehmbare Welt ist zwar eine Welt des Werdens und Vergehens. Aber diese Veränderungen folgen einem in der Vernunftordnung
     der Welt verankerten Gesetz: dem Gesetz, das Substanzen schafft und aus angelegten, möglichen Formen immer wieder verwirklichte
     Formen macht. Veränderung ist Entwicklung, ist Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit, oder, wie Aristoteles sagt, von »dynamis«
     zu »energeia«. Es ist eine Welt, in der sich Substanzen unendlich fortzeugen und aus Stoff oder Materie immer wieder Form
     entsteht.
    Aber, so stellt sich die Frage, hat dieser Prozess irgendwann einmal begonnen? Was war zuerst, Huhn oder Ei, Same oder Baum?
     AuchAristoteles stellt diese Frage und beantwortet sie in dem berühmten 12.   Buch der
Metaphysik
, die viele für das Kernstück des Werks halten. Es gibt etwas, was die Welt von ewig her in Bewegung hält und die Entwicklung
     von Möglichkeiten zu Wirklichkeiten steuert, ohne selbst von dieser Entwicklung betroffen zu sein. Dieses Etwas ist reine
     Wirklichkeit, eine Ursache, die Bewegung entstehen lässt, ohne selbst bewegt zu werden. Es ist der sogenannte »unbewegte Beweger«,
     den Aristoteles »Gott«, aber auch, in Anlehnung an Anaxagoras, »nous«, d.   h. reine Vernunft, nennt. Dieser unbewegte Beweger ist – charakteristisch für Aristoteles – keine Wirkursache. Er gibt der
     Welt keinen Tritt, um sie in Gang zu setzen. Er ist vielmehr Zweckursache aller Entwicklung. Er ist die Supersubstanz, die
     immer schon wirklich ist und auf die alle Entwicklungslinien zulaufen.
    Hier erst begegnen wir der Weltvernunft in reiner Gestalt. Der unbewegte Beweger ist weder ein persönlicher Gott noch ein
     Schöpfergott, sondern das vernünftige Wesen der Welt, zeitloses Denken, das sich selbst denkt. Wie das Sein des Parmenides
     oder die Idee des Guten bei Platon ist er erste Ursache, materielose, reine Form, eine ewige, immer mit sich identische Einheit.
     Von diesem Gott war Aristoteles nicht nur theoretisch fasziniert: Die um sich selbst kreisende Weltvernunft ist für ihn auch
     »hedoné«, also Lust und Freude, sie ist Tätigkeit, die sich selbst genügt, und damit auch Vorbild für ein erfülltes menschliches
     Leben.
     
    Die
Metaphysik
des Aristoteles hat die Geschichte der Philosophie wie ein Sauerteig durchsetzt. Nachdem in den Wirren

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